Große Töne

Dieter Hecking, Trainer von Alemannia Aachen, will „offensiv eine Aufstiegseuphorie entfachen“

AACHEN taz ■ Wenn Dieter Hecking, der Trainer von Zweitliga-Tabellenführer Alemannia Aachen, bei Pressekonferenzen um das Wort gebeten wird, setzt es immer erst einen Willkommensgruß: „Ja, auch von hier oben Ihnen einen schönen guten Tag.“ Hecking erklärt das so: „Wenn ich im Wald spazieren gehe und mir Leute entgegenkommen, sage ich doch auch guten Tag. So bin ich erzogen worden.“

Hecking, 41, ist ein freundlicher, unaufgeregter Typ, offenes Gesicht, kerniger Händedruck, stets hellwach, gern auf Kontaktsuche mit seinen stahlgrünen Augen. Seine „große Leidenschaft“ ist Mountainbiking. Das passt gut zum zeitweiligen Chaosverein. Noch vor Saisonstart hatte Hecking offensiv die Bergankunft Bundesliga als Ziel gesetzt. „Sollte ich nach dreimal Platz 6 sagen: Wir wollen unter die ersten sechs?“ Die Hinrunde haben sie, nach holprigem Start, in aller Ruhe gespielt, Hecking-like könnte man sagen, bisweilen unterkühlt. Zuletzt gab es sieben Spiele ohne Niederlage.

Angesteckt von professioneller Nüchternheit ist auch das Publikum: Die Stimmung auf dem sonst so euphorischen Tivoli war auch fast geschäftsmäßig. Hecking: „Im Vorjahr sind wir von allen als Spaßverein wahrgenommen worden, das hat auch unsere Gegner gepusht. Jetzt haben wir uns bewusst etwas zurückgenommen, auch im Jubel nach den Siegen.“

Hecking ist seit anderthalb Jahren Pendler. Seine Familie (fünf Kinder von 4 bis 19) lebt nahe Hannover. „323 Kilometer sind es von Bad Nenndorf, Haus Hecking, bis zum Tivoli.“ Mehr als knappe anderthalb Tage pro Woche sind da nie drin, wenn überhaupt. „Zu Uefa-Pokalzeiten war richtig Alarm. Einmal war ich sieben Wochen nicht zu Hause.“ „Aber Fußball“, sagt der gebürtige Castrop-Rauxeler, „ist ja nich wie Montage, wo du Freitagmittach frei hast und dann auf Familie machen kanns.“

Zuletzt hatte er sogar diverse Erstliga-Anfragen und „im Sommer ganz konkret ein Angebot aus Wolfsburg“. Welche Chance! „Aber das ganze Paket war nicht hundertprozentig, und außerdem habe ich hier noch was zu tun, was möglichst in der ersten Liga enden soll.“

Hecking wirkt uneitel, gefasst, beherrscht, stets gelassen. „Ich kann Erfolg einordnen und auch Misserfolg“, sagt er, „und bin schwer aus der Fassung zu bringen. Da muss schon sehr Schwerwiegendes passieren.“ Trotz aller sportlichen Erfolge sind Sportdirektor und Geschäftsführer komplett über Kreuz, Präsidiumsfindung und Stadionneubau verzögern sich, Letzterer neuerdings auf mindestens 2010.

Hecking duzt seine Kicker, sie müssen ihn siezen. Weil er zuvor in Lübeck zu wenig Distanz zum Personal gehalten habe, sagt er. Beim Mannschaftsessen steht keiner auf, bevor nicht alle fertig sind. Klingt nach Schullandheim, ist für Hecking aber „ein wichtiges Mittel gemeinschaftlicher Kommunikation“.

Als Trainer müsse er, sagt Hecking, „die Spieler auch begleiten“. Eine große Rolle spielt die psychologische Motivation jedes Einzelnen; diese hat Alemannia bei ihren Kickern mit dem Reißtest ausgelotet – wie auch Mainz, Köln und Schalke 04. Mit dem Testergebnissen, so Hecking, könne er sich besser „in die Spieler hineinzuversetzen und Grundlagen für Gespräche finden“. Prophylaktisch denkt er schon über Kapitän Erik Meijer (36) und Haudegen Willi Landgraf (37) nach: „Beide hören vermutlich auf am Saisonende. Dann beginnt ein neuer Lebensabschnitt. Was passiert da in den Köpfen?“

Nach dem Testspiel am Wochenende gegen den 1. FC Köln (1:1) hat Hecking die gewohnte Zurückhaltung aufgegeben: „Richtig Stimmung in der Stadt“ forderte er ein, man wolle jetzt „offensiv mehr Euphorie entfachen“. Abgeklärtheit und Effizienz nur noch als Fundament: „Wir wollen jetzt was ins Rollen bringen. Dazu gehört jeder Einzelne im Club und jeder Fan. Wir als Mannschaft sind die Zugmaschine.“ BERND MÜLLENDER