Der Spaltpilz sprießt

Weil sie mehr als Hofberichterstattung für Funktionäre und Sponsoren wollen, haben kritische Sportjournalisten ein Netzwerk gegründet

Von Andreas Rüttenauer

Der Kaiser war wütend. Nachdem die Stiftung Warentest in der Vorwoche erhebliche Sicherheitsmängel an deutschen WM-Stadien aufgezeigt hatte, war Franz Beckenbauer nicht mehr zu halten. Er watschte die Tester als „Olivenöl-Kenner“ ab und warnte vor Miesmachern. Wer das Organisationskomitee kritisiert oder kritisch über die Vorbereitungen zur Weltmeisterschaft berichtet, ist für den Kaiser ein Vaterlandsverräter.

Doch allzu große Sorgen brauchen sich die Organisatoren des Superturniers nicht zu machen. Denn kritische Töne in der Sportberichterstattung sind oft nur am Rande und ganz leise zu vernehmen. So sehen es zumindest die Sportjournalisten, die sich im Sportnetzwerk zusammengeschlossen haben. Jens Weinreich, Leiter des Sportressorts der Berliner Zeitung, hat die Initiative zur Gründung des losen Zusammenschlusses ergriffen. Mit 40 Kollegen ist das Projekt Ende des vergangenen Jahres an den Start gegangen. Jetzt gebe es, so Weinreich, schon mehrere hundert Interessenten. Die zentrale Frage, die sich alle Sportberichterstatter zu stellen haben, lautet, so Weinreich: „Ist man noch Journalist oder ist man nur noch Verkäufer?“ Oder: Sind Sportjournalisten eigentlich noch mehr als „Fans, die es über die Absperrung geschafft haben“?

Mangelnde Distanz zum Gegenstand der Berichterstattung ist demnach das Hauptübel. Deshalb richtet sich die Kritik der Netzwerker auch an den Verband Deutscher Sportjournalisten (VDS). Etwa 3.500 Mitglieder sind in der Berufsorganisation registriert. Im Verbandsblatt Der Sportjournalist bekommen sie sich nicht selten zu lesen, wie schön es doch sei, so nah am großen Sportgeschehen zu sein. Der Vorsitzende des Verbandes, Sat.1-Sportkommentator Erich Laaser, hat in seinem Editorial den Kollegen einmal von allzu kritischer Berichterstattung abgeraten und ihnen stattdessen „kritische Solidarität“ empfohlen.

Als Fernsehmann, der beinahe dazu gezwungen ist, teuer eingekaufte Produkte anzupreisen statt zu kritisieren, scheint diese Sichtweise nur konsequent zu sein. Für die Netzwerker stellt sich daher die Frage, ob sich das Berufsbild eines Fernsehreporters mit dem eines Printjournalisten überhaupt vereinbaren lässt – und wenn nein, ob man dann noch einen gemeinsamen Verband braucht.

Der VDS findet derartige Überlegungen alles andere als witzig. Nachdem etliche der kritischen Sportreporter angekündigt hatten, aus dem VDS auszutreten, kündigte der Verband an, gegen die „Spaltpilze“ vorzugehen. Ein Drohmittel: keine Akkreditierungen mehr für Sport-Großveranstaltungen. Weil bei Olympischen Spielen oder Fußball-WMs das Kontingent an Pressekarten äußerst begrenzt ist, muss eine Auswahl getroffen werden. Bei solchen Entscheidungen sitzt der VDS immer mit am Tisch. Die Androhung des VDS, die Netzwerker bei der Vergabe von Akkreditierungen fürderhin zu übergehen, verlief jedoch im Sande. Sowohl der DFB als auch die Deutsche Fußballliga und das Nationale Olympische Komitee haben erklärt, dass die Mitgliedschaft im VDS keine Voraussetzung für eine Akkreditierung darstellen kann.

Diese Klarstellungen sind der erste große Erfolg, den das Sportnetzwerk erringen konnte. Der VDS äußert sich inzwischen dementsprechend zurückhaltender. Vizepräsident Christoph Fischer forderte die Verbandskritiker auf, innerhalb des VDS reformerisch tätig zu werden. Doch dazu wird es nicht kommen. Der VDS gilt als allzu verkrustet. Veränderungen von innen scheinen Jens Weinreich nicht möglich zu sein. Er will sich jetzt dafür einsetzen, dass die Ziele, die er sich mit dem Sportnetzwerk gestellt hat, auch verwirklicht werden.

Diese Ziele reichen weit über die tägliche Reporterarbeit hinaus. Vor allem die Ausbildung des Nachwuchses liegt ihm am Herzen. Das ist auch eines der Hauptanliegen des Netzwerks Recherche, das sich die Weiterentwicklung des investigativen Journalismus in Deutschland zum Ziel gesetzt hat. Auf dessen Fachtagung zum Thema „Zukunft des Journalismus – Neue Wege für alte Werte“, die am Samstag in Berlin stattfindet, wird Jens Weinreich seine „zehn Thesen zur Krise des Sportjournalismus“ vorstellen. Was der Kaiser wohl davon hält?