Gefährliche Argumentationslinie

betr.: „Der Pascha-Test“ von Necla Kelek, taz vom 16. 1. 06

Es wundert mich nicht, dass Necla Kelek, die das Innenministerium bei der Entwicklung des Leitfadens beraten hat, diesen befürwortet.

Die Erwähnung von Thea Dorns Aussage, der Leitfaden richte sich nicht gegen Deutsche, sondern gegen solche, die sich um die Staatsbürgerschaft bewerben, kann das Ruder nicht herumreißen. Ganz im Gegenteil, diese Aussage ist diskriminierend und mit Verlaub dumm. Gleichzeitig offenbart sich in dieser Bemerkung eine Doppelmoral. Solange sich also solche „Gesinnungsprüfungen“ nicht gegen Deutsche, sondern nur solche, die deutsch werden wollen, richten, sind sie in Ordnung? Diese Argumentationslinie ist gefährlich. Sie führt zu der recht eindimensionalen Formel, Verfassungsrechte und -prinzipien könnten beispielsweise im Kampf gegen den Terror außer Kraft gesetzt werden. Hier reicht ein Blick auf die gegenwärtige „Folterdebatte“. Jeder, aber besonders eine Geschwister-Scholl-Preisträgerin tut gut daran getan, die jüngste deutsche Geschichte genauer zu betrachten, trägt sie doch den Preis von zweien, die gegen Gesinnungsprüfungen gekämpft haben. Und gegen die Entstehung einer Atmosphäre, die solcherart überhaupt erst möglich machen und mehr noch tolerieren.

In den 21 Fragen komme nirgends das Wort „Muslim“ oder „Islam“ vor, es sei immer von „Glaube“ und „Religion“ die Rede. Das heißt, dieser Fragebogen könnte auch sagen wir mal einem einbürgerungswilligen Juden, Buddhisten, Hindu, etc. vorgelegt werden? Das beleidigt unsere Intelligenz.

Und was soll der Leitfaden konkret gegen die Missstände bewirken? Man toleriere in Deutschland Unrechtmäßiges, weil man Kultur schützen wolle, ist ein Totschlagargument. Unsere Gerichte zeigen außerdem das Gegenteil, ebenso verfügt unsere Verfassung gegen ausreichende Rechtsinstrumente. Ich vermisse einen Hinweis auf eine notwendige, aber selten adäquat geführte Diskussion über fehlende Chancen auf Bildung, Mangel auch an religiöser Bildung, um den aufgeführten Missständen entgegenzuwirken. Wo und wann wurde weggesehen? Weggesehen wurde, als Muslime sichtbar in den öffentlichen Raum traten und nach politischer Partizipation und gesellschaftlicher Teilhabe verlangten; die ersten die sichtbar waren, waren die Musliminnen. Sind wir ihnen in diesen Forderungen entgegengekommen? Eine muslimische Lehrerin mit einem Kopftuch an einer deutschen Schule? Immer noch undenkbar.

Ist es ein Manko ein „Alt-68er“ zu sein, ein Defizit, oder warum findet sich eine Polarisierung in Necla Keleks Beitrag. Wer die bundesrepublikanische Geschichte genau studiert, wird bei aller Kritik an den 68ern einräumen, dass die durch diesen „Leidfaden“ zu schützenden Werte nicht zuletzt durch sie mit erstritten wurden.

Ob sie ihre Frauen vor Diskriminierung und Gewalt schützen? Das ist eine berechtigte Forderung. Aber was tun wir mit all den Deutschen, per Geburt Deutschen, die ihre Frauen nicht schützen, sondern sie am Ende einer Scheidung einfach erschießen und noch die vier Kinder dazu? Weil sie die „Schande“ einer Scheidung nicht ertragen? Was tun wir mit solch einem Bürger, der einen „Ehrenmord“ begeht? Richtig, schließlich und endlich gibt es ja noch das Recht!

Pascha-Test“ also. Sollen wir es besser finden, wenn der Leitfaden/Test sich gegen/an muslimische Männer richtet? Gemäß unserer Verfassung ist auch das diskriminierend und damit unzulässig. Es ist keine neue Erkenntnis, dass antifeministische Positionen nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen vertreten werden können. Daher ist auch die Umtitulierung unzutreffend. Hier wird versucht, etwas hoffähig zu machen, was nicht hoffähig ist.

FATMA SAGIR, Islamwissenschaftlerin, Freiburg im Breisgau