Schuld ist immer der Dritte

Der islamische Antisemitismus ist aus Europa importiert – als „moderne Weltanschauung mit antimoderner Stoßrichtung“. Das belegt eine Studie des renommierten Soziologen Klaus Holz

Der Antisemitismus in islamisch geprägten Gesellschaften hat ein bestürzendes Ausmaß angenommen. Das zeigen nicht nur die jüngsten antisemitischen Ausfälle des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad oder eine mit Antisemitismen gespickte Rede des früheren malaysischen Ministerpräsidenten Mahathir von 2003. Auch die schier unerträgliche antisemitische Propaganda der arabischen und iranischen Medien beweist das seit Jahren.

Zudem ist Besorgnis erregend, dass die in Internet und Satellitenfernsehen verbreitete antisemitische Propaganda mittlerweile die in Europa lebenden muslimischen Migranten in großer Zahl erreicht. Diese Hetzereien bleiben nicht folgenlos. Zahlreiche antisemitische Straftaten in Belgien, Frankreich und Großbritannien rechnet die Polizei migrantischen Jugendlichen zu, die meist arabischer Herkunft sind.

Wissenschaftliche Studien zu diesem relativ neuen Phänomen liegen derzeit noch nicht vor. Stattdessen erschien in den letzten drei Jahren eine Reihe publizistischer Schnellschüsse. Jene meist undifferenzierten und monokausalen Darstellungen verorten die Hauptursache des Antisemitismus im kulturell-religiösen Hintergrund der migrantischen Jugendlichen und der islamischen Minderheiten. Die Grundbotschaft solchen Schrifttums ist meist schlicht gestrickt. Der Islam sei das eigentliche Problem, und man habe es folglich mit einem muslimischen oder islamischen Antisemitismus zu tun.

Eine neue Studie des renommierten Antisemitismusforschers und Soziologen Klaus Holz zeigt nun auf: Diese Terminologie, die einen originären islamischen Antisemitismus behauptet, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Holz legt in seiner Studie überzeugend dar, dass alle Formen des gegenwärtigen Antisemitismus – die islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft – über die gleichen semantischen Strukturen verfügen. Gerade für den Antisemitismus in den islamischen Gesellschaften bedeutet das: Er ist in allen wesentlichen Aspekten ein Export aus Europa. Der moderne europäische Antisemitismus musste lediglich an eine islamistische Semantik angepasst werden, was keine grundlegenden Veränderungen erforderte.

Nach Holz lässt sich diese These sowohl historisch als auch systematisch belegen. Die Geschichte des Antisemitismus in der islamischen Welt unterteilt Holz in drei Entwicklungsphasen, „eine frühe, am deutschen Nationalismus und Nationalsozialismus orientierte, eine am sowjetischen Sozialismus und Antizionismus ausgerichtete und eine islamistische Phase“.

Zu allen Phasen bietet Holz einen kurz gefassten historischen Überblick, der im Wesentlichen zeigt, wie sich ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts aus Europa stammende antisemitische Stereotype in der islamischen Welt verbreiteten. Das eigentliche Glanzstück der Studie ist jedoch die Struktur- und Merkmalanalyse des islamistischen Antisemitismus. In den Kapiteln „Gemeinschaft und Gesellschaft“, „Macht und Verschwörung“, „Die Figur des Dritten“ und „Nation und Religion“ führt Holz mit außerordentlicher Sachkenntnis den Nachweis, dass der islamistische Antisemitismus in allen wesentlichen Aspekten eine in Europa präfigurierte „moderne Weltanschauung mit antimoderner Stoßrichtung“ ist.

Besonders gelungen ist das Kapitel „Die Figur des Dritten“, in dem der Autor die dreigliedrige Struktur des islamistischen Antisemitismus darlegt. Wie auch in den nationalistischen Varianten des Antisemitismus erscheint „der Jude“ in der Weltsicht der Islamisten durchgehend als „Dritter“, der die partikularen Identitäten bedroht, indem er die binäre Unterscheidung zwischen uns und den anderen zersetzt.

Neben den skizzierten Ausführungen zum islamistischen Antisemitismus bietet der Band zwei weitere ausführliche Kapitel zum „antizionistischen“ und „demokratischen Antisemitismus“. Einziger Schwachpunkt ist hier die Terminologie. Die Bezeichnung „demokratischer Antisemitismus“ ist unpassend und irreführend. Doch dies ist nur ein kleiner Schönheitsfehler.

MICHAEL KIEFER

Klaus Holz: „Die Gegenwart des Antisemitismus. Islamistische, demokratische und antizionistische Judenfeindschaft“. Hamburger Edition, Hamburg 2005, 112 Seiten, 12 Euro