Staunende Hänschen-Klein-Blicke auf die Metropole

Vom einem, der kam, den Hamburgern ihre Stadt schön zu spielen: Friedrich Schirmer, neuer Schauspielhaus-Intendant, wird nicht ewig vom zelebrierten Fremdeln leben können

Nein, dieser Intendant ist nicht gefährlich. Und schon gar nicht so bedrohlich wie sein Vorgänger Tom Stromberg, der das Hamburger Schauspielhaus zum Abschluss seiner Ära anno 2005 mit schwarzgelbem Absperrband dekoriert und „Noch zwei Jahre Wahnsinn!“ an die Fassade geschrieben hatte, als sein Vertrag nicht verlängert wurde. Nein, Friedrich Schirmer, der Neue aus Stuttgart, hat anderes im Sinn: „Schau“ „spiel“ „haus“-Fähnchen hat er auf das Dach desselben montiert – Friedensflaggen gewissermaßen, als wollte er laut herausjubeln, dass die Stromberg’sche Piraterie beendet sei: Ein braver Hüter der heiligen Hallen war nun erschienen, auf den sich die Hanseaten verlassen konnten. „Sich vom Wasser her der Stadt zu nähern ist faszinierend“, hatte er damals gesagt – jener Intendant, den man vor allem wegen der beängstigend hohen Stuttgarter Auslastungszahlen geholt hatte. „Das Flair dieser Stadt ist etwas ganz Besonderes“, so der gebürtige Kölner. Sprach’s und schickte sich an, den Hamburgern auch optisch ihre Heimat wiederzugeben: Hochglanz-Fotos der lieblichsten Stätten der Hansestadt zierten seine erste Spielzeitbroschüre.

Vorbei die Revolte derer, die unter Stromberg im Malersaal inszenierten: Keine Subversion, sondern von Klaus Schumacher – einst Leiter des Bremer moks-Theaters – angeleitetes Jugendtheater spielt sich dort jetzt ab. Vergessen auch die Zeiten, als sich – wie unter Kultursenatorin Dana Horáková üblich – Intendanten und Politiker öffentlich beschimpften. Schirmer wirft lieber staunende Hänschen-Klein-Blicke auf die Metropole; ein Wolf im Schafspelz, das wäre er gern. Und begnügt sich fürs Erste mit Namensänderungen: das im ersten Geschoss gelegene Café Ellmenreich, benannt nach einer Schauspielhaus-Mitgründerin, hat er wieder „Marmorsaal“ genannt, stets auf Klänge sinnend, die eine Hautevolee goutieren möge, die Adressen wie „Glacischaussee“ und „Esplanade“ kennt. Neue Orte hat Schirmer außerdem (rück-) erobert: Rangfoyer und Kantine werden wieder bespielt, im Monatsplan – neben „Schauspielhaus“ und „Malersaal“ – neckisch „... und drittens“ genannt.

Doch damit hat sich’s auch schon ausrebelliert, hat Schirmer doch mehrere Produktionen wie Stefan Puchers „Othello“ und Jan Bosses „Faust I“ von Stromberg übernommen und im übrigen auf ein bewährtes Rezept gesetzt: In Stuttgart erfolgreiche Stücke wie Mac von Hennings „Macbeth“ und „Faces“ nach Jon Cassavetes’ Film hat er in Hamburg präsentiert. Und vielleicht waren es wirklich nur nörgelige Rezensenten, die den Ibsen von Stuttgarts Starregisseurin Jacqueline Kornmüller als grell, den „Mephisto“ Anders Paulins als oberflächlich und Bauersimas „Oh die See“ als seicht empfanden, sprechen die Auslastungszahlen doch eine andere Sprache: Auf eine 66-prozentige Platzauslastung kann Schirmer verweisen; zu Strombergs Zeiten waren es 46.

Ist also alles zum besten bestellt, ist die Schlacht mit dem benachbarten Thalia Theater um die Publikumsgunst schon geschlagen? Nein, auch wenn sich die Menschen zögerlich für die wieder eingeführten Abos – bislang wurden 288 verkauft – erwärmen: Noch ist nicht entschieden, wie lange der Intendanten-Schleudersitz diesmal trägt. Das aber, sagt Schirmer, mache ihm nichts aus: „Es ist eine große Ehre, an diesem Haus zu arbeiten, das eventuelle, lustvolle Scheitern inbegriffen“. Fast möchte man es glauben. Doch seine Hymnen auf die Stadt und der laut zelebrierte Zugereisten-Blick offenbaren menschlich-Ängstliches. Und rufen verschämt ein „Habt mich bitte lieb!“ in die Welt.      Petra Schellen