Dramatische Lebenslagen

Die Drogenberatungsstelle Kodrobs hat eine Sucht-Hotline speziell für Türkisch Sprechende eingerichtet. Viele Ratsuchende lassen sich zu einem persönlichen Gespräch in der Einrichtung motivieren, doch die Hemmschwelle ist immer noch hoch

von Alexander Linden

Fatma Yildiz* (Namen geändert) will es nicht länger ertragen. Sie wählt eine Hamburger Nummer, mit dem Herrn am anderen Ende der Leitung vereinbart sie ein geheimes Treffen. Ihrem Ehemann will sie vorspielen, sie müsse zum Arzt, eine Freundin werde sie begleiten. Doch zu dem Treffen kommt es nicht. Dreimal schon war sie kurz davor, von Billstedt mit der S-Bahn nach Wilhelmsburg zu fahren, dann hat sie sich doch nicht getraut. „Sie sagte mir am Telefon, ihr Mann würde sie totschlagen, wenn er davon erführe“, berichtet Abuzer Cevik (36). Denn schließlich wollte sie sich beraten lassen, was sie gegen seine Spielsucht unternehmen kann.

Seit über 30 Jahren wohnen die Yildiz‘ in Hamburg, fast von Anfang an verzockte Fatmas Ehemann Cem* regelmäßig das wenige Geld. Einen Ausweg witterte die verzweifelte Frau erst, als sie vor zwei Jahren in einer türkischen Radiosendung von einer Telefonhotline für Suchterkrankungen hörte – speziell für Migranten aus der Türkei, die wie sie kein Wort Deutsch sprechen. Und dann verließ sie nach den Anrufen doch der Mut.

„Hier können die Leute anonym bleiben“

Sozialpädagoge Cevik von der „Kontakt- und Drogenberatungsstelle“ (Kodrobs) sagt, es habe keinen Sinn, solchen Fällen hinterher zu laufen. Oft habe man gar keine Adresse, um rückzufragen, und meist wollten dies die Anrufer auch gar nicht – aus Furcht. Darum hat Kodrobs die Sucht-Hotline für türkisch Sprechende eingerichtet. „Hier können die Leute anonym bleiben und werden von uns professionell beraten.“

Obwohl der Träger des Beratungszentrums der „Jugend-hilft -Jugend-Verein“ ist, wendet sich das Angebot vor allem an Erwachsene. Die Jugendlichen, weiß der Pädagoge, kommen nur, wenn sie müssen – also wenn die Schule oder das Gericht es anordnen. Besonders türkische Frauen sind es, die das telefonische Beratungsangebot annehmen, das immer freitags von 9 bis 18 Uhr zur Verfügung steht. Ihre Männer, erklärt Cevik, seien meist spielsüchtig. Sobald sie von der Arbeit kommen, führe ihr Weg direkt in die nächste Daddelhalle. Über Jahre könne das so gehen, manchmal, wie bei Cem Yildiz, über Jahrzehnte.

Doch während bei Deutschen eher die Bereitschaft da sei, über Probleme zu sprechen, sei dies bei türkischen Familien verpönt, ja sogar streng verboten. „Es wird total dichtgemacht“, sagt Abuzer Cevik, und will gerade fortfahren zu erzählen, als das Telefon klingelt. Er nimmt ab, sagt: „Merhaba“ (dt. Hallo) und hört erst mal zu. Die Erfahrung habe gezeigt, dass viele Türken sofort wieder auflegen, wenn man sich in deutscher Sprache melde. Haben sie jedoch Vertrauen zu dem neben Türkisch auch fließend Kurdisch sprechenden Sozialpädagogen gefasst, schildern sie ihre oft dramatischen Lebenslagen.

In diesem Fall allerdings war es der Abgesandte einer Moschee, der Cevik zu einem Informationsabend einladen wollte, um über Sucht aufzuklären. „Um in die türkische Community vorzudringen, müssen wir mehr tun, als nur auf Mundpropaganda zu setzen“, stellt Cevik fest. Schon häufig sei er Gast in Moscheen gewesen, um über die Suchtproblematiken zu dozieren, habe in türkischen Vereinen gesprochen und sei in Radio- oder Fernsehsendungen aufgetreten.

Inzwischen ist die Hotline gut frequentiert. Fünf bis sechs Anrufe verzeichnet der Suchtexperte pro Freitag, viele Ratsuchende ließen sich zu einem persönlichen Gespräch in der Einrichtung motivieren. Dann werden die Lebenssituation durchgesprochen und Lösungswege und -strategien entwickelt.

Manchmal, erzählt der Pädagoge, kämen auch die Männer mit. Jedoch seien dann die Probleme selten deren Spielsucht, sondern die Suchtprobleme der Ehefrauen, wie zum Beispiel Medikamentenabhängigkeit. Dem Einwand, wie die Frauen denn an die Tabletten kommen, wenn sie kein Deutsch sprechen, begegnet er mit dem Hinweis auf die ärztliche Schweigepflicht. Und: „Die Töchter sprechen in der Regel fließend Deutsch und spielen dann Dolmetscherin beim Arzt.“

Cevik bemüht sich, alle Klienten zu Beratungsgesprächen einzuladen, aber die Hemmschwelle ist oftmals extrem hoch. Häufig bekomme er zu hören, man sei mit der Frau in die Türkei gereist und habe sie von einem Mullah behandeln lassen; nun sei wieder alles in Ordnung. „Nichts weiter als religiöser Hokuspokus“, ärgert sich der Suchtexperte: „Diese Scharlatane sagen Abrakadabra, du bist nicht mehr süchtig.“ Die Frauen, „ungebildet und unaufgeklärt, glauben das, die Männer wollen es glauben, die Tabuisierung wird fortgesetzt“.

„Rückfälle gehören zur Sucht dazu“

Wieder läutet das Telefon, eine Frau schildert die Geschichte ihres drogensüchtigen Sohnes Murat*, der schon vor der Schule zu kiffen beginne. Obwohl der 15-Jährige vom Jugendgericht zu einer Drogentherapie verdonnert wurde, sei er wieder rückfällig geworden. Spezialist Cevik beruhigt die aufgebrachte Frau: „Rückfälle gehören zur Sucht dazu.“ Nur so würden viele merken, dass sie noch mehr tun müssten. Das bedeute nicht das Ende der Welt. Die Rückfallquote sei insgesamt niedrig, sagt der Pädagoge, „das ist aber subjektiv, schließlich kommen zu uns nur Leute, die süchtig sind, die anderen siehst du ja nicht wieder“.

Aufgrund des hohen Bedarfs wird demnächst auch eine Hotline für Russisch Sprechende eingerichtet. Extra dafür wurde eine russische Kollegin eingestellt. Sie verstärkt das interkulturelle Team und geht, genau wie ihr Kollege, zu Radiosendungen wie „merhaba“ bei Tide. Das sei notwendig, da viele der Klienten Analphabten seien. „Durchs Radio“, konstatiert Cevik, „kommt man in die Küchen rein.“

Hotline: 040/75 66 22 22 (freitags von 9 bis 18 Uhr)