Sauberer Eindruck

Michelle-Prozess: Sozialarbeiterin sagt aus, sie habe von Verwahrlosung der sechs Geschwister nichts bemerkt

Auch zwei Wochen vor dem Tod der kleinen Michelle aus Hamburg im Sommer 2004 will eine Sozialarbeiterin keinerlei Missstände in der achtköpfigen Familie des Mädchens festgestellt haben. „Die Kinder machten einen gewaschenen und sauberen Eindruck“, hieß es in einer Aussage der Frau, die gestern im Prozess gegen Michelles Eltern vor dem Hamburger Landgericht verlesen wurde.

Der 28-jährigen Mutter und dem 35 Jahre alten Vater wird fahrlässige Tötung zur Last gelegt. Die zweieinhalbjährige Michelle war am 1. Juli 2004 in der völlig verdreckten Wohnung im Stadtteil Lohbrügge an einem Hirnödem gestorben, weil die Eltern der Anklage zufolge keine ärztliche Hilfe geholt hatten.

Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen zudem vor, auch Michelles fünf Geschwister vernachlässigt zu haben. Die Kinder waren bei ihrer Einweisung in ein Heim nach Michelles Tod körperlich und seelisch verwahrlost und zeigten extreme Rückstände in der Entwicklung. „Sie konnten überhaupt nicht sprechen“, sagte eine Erzieherin des Heims gestern über den Zustand der damals sechs Monate bis fünf Jahre alten Kinder. Sie hätten nicht gewusst, wie man sich die Zähne putzt, und ihre Notdurft auf dem Teppich verrichtet.

Die 42-jährige Sozialarbeiterin, die seit April 2004 für die Betreuung zuständig war, hatte laut Protokoll die Familie zuletzt am 17. Juni besucht und dabei alle sechs Kinder gesehen. Sie sei aber nur im Wohnzimmer und „nie in den Kinderzimmern“ gewesen.

Eine Aussage vor Gericht hatte sie ebenso wie zwei weitere Sozialarbeiterinnen verweigert, weil gegen die drei Frauen inzwischen ermittelt wird. Sie haben möglicherweise von den schlimmen Zuständen in der Familie gewusst, jedoch nicht rechtzeitig eingegriffen.

Der Prozess wird am 7. Februar fortgesetzt. lno