„Auch dieser Fall ist lösbar“

Der „Ärztliche Dienst“ der Ausländerbehörde Hamburg: aus einer Dokumentation der Beratungsstelle „Fluchtpunkt“

Ein „aktuelles Problem“ habe sich ergeben, schrieb die SPD-geführte Hamburger Innenbehörde 1999 in einem vertraulichen Papier: die Abschiebezahlen sanken. Schlimmer noch: die regelmäßige Vorführung wegen Krankheit geduldeter Personen beim Amtsarzt führe zu „keinerlei Entspannung der Situation“. Was also tun? Neue Ärzte mussten her, entschied der Innensenator und legte sich einen eigenen „Ärztlichen Dienst“ zu.

Bereits fünf Monate später nahm dieser seine Arbeit auf. Auf zwei Planstellen wird dort seitdem die „Reisefähigkeit“ von Flüchtlingen beurteilt – nach anfänglich hoher Fluktuation derzeit von einer Sportmedizinerin und einer Gynäkologin. Die Räumlichkeiten enthalten außer einer Liege keinerlei medizinische Ausstattung. Eine Ärztin sagte nach einem Besuch, dort gebe es „nichts, was ein Arzt brauchen könnte“. Das ist aber auch nicht nötig, denn Untersuchungen werden dort gar nicht durchgeführt. Sämtliche Begutachtungen, die der „Ärztliche Dienst“ selber vornimmt – auch die schwerer körperlicher Erkrankungen – erfolgen ausschließlich durch Befragung der Betroffenen und nach Aktenlage.

Meist werden externe Gutachter auf Honorarbasis hinzugezogen. Wer in den Genuss dieser Aufträge kommen will, muss wissen, was von ihm erwartet wird: Gutachter, die „nicht reisefähig“ attestieren, teilen die Auftraggeber schon mal mit, dass man mit den Angaben „nicht zufrieden“ sei. Solche Beanstandungen werden häufig begleitet von der Bitte, die Untersuchung doch noch einmal unter „anderen Aspekten“ zu wiederholen. Bleibt die Intervention erfolglos und der Befund gleich, wird ein anderer Gutachter beauftragt oder der Befund schlicht übergangen.

Ganz wohl scheint dem „Ärztlichen Dienst“ mit derlei Praktiken selbst nicht zu sein. Anders ist kaum zu erklären, das dessen Leiterin schon 2002 die Befunde ihrer Dienststelle vorsichtshalber für „subjektiv“ erklärte, und der Ausländerbehörde empfahl, diese getrennt von der übrigen Akte aufzubewahren. Offenbar sollte so eine Einsichtnahme von Anwälten verhindert werden. Auch sonst zählt Transparenz nicht zu den Stärken der Abschiebehelfer. Untersuchungen werden teils nicht angekündigt, sondern überraschend bei der Duldungsverlängerung durchgeführt, bisweilen wird die Nennung des Namens und der Fachrichtung der untersuchenden Ärzte verweigert. Auch nachforschenden Rechtsanwälten werden oft Auskünfte über die Untersuchung oder ihr Ergebnis verweigert.

Eine weitere wesentliche Aufgabe des „Ärztlichen Dienstes“ besteht darin, durch eigene Recherchen (in der Regel über die deutsche Botschaft) die Behandelbarkeit der vorgebrachten Erkrankungen im Zielland zu belegen. Die Suche wird in der Regel so lange fortgesetzt, bis sich eine Stelle findet, die bestätigt, dass die erforderliche Behandlungsmöglichkeit gewährleistet sei. Ob diese Möglichkeit wirklich besteht oder für einkommenslose Rückkehrer erreichbar ist, wird nicht überprüft.

Als sich derlei Recherchen in einem Fall einmal über Monate hinzogen, beruhigte der „Ärztliche Dienst“ den Sachbearbeiter in der Ausländerbehörde: „Nur Geduld. Auch dieser Fall ist lösbar.“ cja