Ein Geschäft, das Glaubenssache ist

Eine Geschäftsfrau und eine Nonne eröffnen eine Pagode im Asiamarkt. Beide profitieren von der Verbindung

Viele Vietnamesen bitten Buddha um Hilfe, wenn sie ein riskantes Geschäft vorhaben – und helfen dem Segen mit einer Spende nach

Im Markt ist Tri Thi Mui die Chefin. Die 49-jährige resolute Vietnamesin importiert Rattanmöbel und Textilien aus Vietnam und führt die Geschäfte des Asiamarktes „ITC Pacific Center“ in Hohenschönhausen mit über 90 Gewerbemietern aus ganz Asien. Sie mahnt Mieter, wenn sie ihre Kartons auf den Gängen stehen lassen, und verhandelt mit ihnen unnachgiebig über Ratenzahlungen der Miete.

In der Pagode erscheint der Blick der einflussreichen Geschäftsfrau weit abwesend, so tief ist sie in ihr Gebet versunken. Anfang Januar hat Tri Thi Mui zwei Räume des Pförtnerhauses ihres Asiamarktes einem buddhistischen Verein als Pagode zur Verfügung gestellt. Die Einrichtung ist noch spartanisch, sieht man von einer vergoldeten Buddhafigur ab.

Mönche und Nonnen aus Aachen, Mönchengladbach, Frankfurt am Main und Brüssel haben die religiöse Zeremonie vorgenommen, das Pförtnerhaus von den Geistern der Verstorbenen gereinigt und es als Pagode geweiht. Thich Nu Dieu Linh ist hier als Nonne eingezogen. Sie schlägt den Gong und wird in Zukunft religiöse Feste und Totenmessen für ihre Landsleute zelebrieren. Ende Januar, wenn Vietnamesen das Neujahrsfest nach dem Mondkalender begehen, wird es hier voll werden. 10.000 Vietnamesen wohnen in Berlin, zwei Drittel von ihnen im Ostteil der Stadt.

Beide Frauen, Geschäftsfrau und Nonne, glauben an die eigenwillige Symbiose aus Markt und Gebetshaus. Der buddhistische Verein schätzt, dass er die Räume mietfrei nutzen kann. Viele Vietnamesen fühlen sich eigentlich eher als Atheisten, suchen aber dennoch innere Ruhe in Pagoden oder zelebrieren hier den traditionellen Totenkult.

Pagoden finanzieren sich ausschließlich aus Spendengeldern. Warum sollen die nicht gerade an einem Ort reichlich fließen, an dem auch Geschäfte getätigt werden? Viele Vietnamesen bitten gerade dann Buddha um seinen Segen, wenn sie ein riskantes Geschäft vorhaben. Und man hilft dem Glück gern mit ein paar Geldscheinen nach.

Doch auch die Geschäftsfrau hat etwas von der ungewöhnlichen Verbindung: Sie würde gern die Pagodenbesucher nach Gebet oder Religionsunterricht als Kunden auf ihrem Markt begrüßen, schließlich ist die Konkurrenz hart. In Berlin gibt es drei weitere Asiamärkte. Und Tri Thi Mui hegt die Hoffnung, dass Buddhas Nähe jene ihrer Landsleute fernhalten, die sie auf dem Markt nicht haben will: Diebe, Hehler und Bosse der Zigarettenmafia, die die ethnisch abgeschlossenen Asiamärkte gern für Treffs benutzen.

Doch das Vorgehen der Frauen ist auch umstritten. „Eine Pagode baut man nur an einem absolut heiligen Ort, abseits des pulsierenden Lebens. Man braucht Ruhe für die innere Einkehr“, sagt ein Marktkunde. „Man soll eine Pagode nicht für seine Geschäfte benutzen.“

Kritisch wird das neue Gebetshaus auch von der bis vor kurzem einzigen Berliner vietnamesisch-buddhistischen Pagode in Spandau beäugt. Offen will man sich hier nicht zur neuen Konkurrenz äußern. Aber dass die Spandauer Nonnen der Einweihungszeremonie fernblieben, sagt genug. Die Spandauer Gemeinde konnte vor allem dank der reichen vietnamesischen Geschäftsleute aus dem Ostteil der Stadt viel Geld in ihre Ausstattung und in ihre karitativen Projekte stecken. Damit ist jetzt Schluss: Dass die freigebigen Spender jetzt lieber im eigenen Kiez beten und Geld geben, liegt auf der Hand.

Hinzu kommt, dass die Spandauer Pagode für ihre recht harsche Kritik an der Regierung in Hanoi bekannt ist. Die Nonne in Hohenschönhausen hingegen hat in ihrer Begrüßungspredigt gelobt, ihre Pagode von jeder Politik freizuhalten. Das ist den Vietnamesen aus dem Ostteil der Stadt, die von ihrem Staat einst als Vertragsarbeiter in die DDR entsandt wurden, viel sympathischer.

MARINA MAI