kehlmann etc.
: Platz eins

Breaking News: Daniel Kehlmann steht immer noch auf Platz eins. Man schaue sich die aktuelle Spiegel-Bestsellerliste an und stelle fest: Ganz oben steht wie vergangene Woche Daniel Kehlmanns Roman „Die Vermessung der Welt“, noch vor Harry Potter, der auf den dritten Platz abgerutscht ist, und vor Dan Browns „Sakrileg“ auf Platz zwei. Auf der Focus-Bestsellerliste ist das Buch jetzt auch auf Eins. Selbst wenn nach Weihnachten der Umsatz nicht auf dem höchsten Stand sein wird: Vom diesem Erfolg aus ist die literarische Landschaft in Deutschland nun – um das Zentralmotiv des Romans aufzunehmen – neu zu vermessen.

Klar ist, dass eine Sichtweise, die gute Literatur und Massengeschmack als natürliches Gegensatzpaar behandelt, wirklich nicht mehr funktioniert. Der Siegeslauf dieses Romans begann mit jubelnden Besprechungen in den Feuilletons, vorneweg übrigens die taz, zeitgleich mit der SZ. Danach folgten FR, NZZ und schließlich FAZ. Nur die Zeit mäkelte etwas, aber auf hohem Niveau; sie meinte, Daniel Kehlmann hätte ein noch besseres Buch schreiben können. Einhellige Begeisterung im Hochkultursektor also, gefolgt von Interviews, Homestories und Porträts in Funk, Fernsehen und Zeitschriften. Und da die Käufer das offenbar ähnlich sehen, kann man nun das Phänomen bestaunen, dass sich auf Daniel Kehlmann alle einigen können.

Ein üblicher feuilletonistischer Reflex wäre, sich zu fragen: Oh, hat man da etwas falsch gemacht? Wer mag, kann bei verschärfter Prüfung also den kleinen Nörgler in sich entdecken; es gibt da tatsächlich diesen Hauch von Harmlosigkeit, der dies Buch umgibt. Aber geschenkt, das ist wirklich ein winziger Nörgler. Insgesamt gibt es kein positives Urteil zu revidieren.

Wirklich interessant ist etwas anderes. Von Elisabeth Noelle-Neumann stammt der hier einschlägige Satz: Die Mehrheit täuscht sich über die Mehrheit. Man kann sich ja gut vorstellen, dass viele Leser dieses Romans über Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauss zustimmend nicken würden, wenn man sie fragte, ob wir nicht in Zeiten der kulturellen Verflachung und des Bildungverfalls leben. Aber da täuschen sie sich. Mit der Lektüre dieses bildungsgesättigten und kulturell hoch anspruchsvollen Romans liegt man voll im Mainstream. Was man als schönen Triumph der jungen deutschen Literatur werten kann. Und was zeigt, dass man mit kulturpessimistischen Diagnosen voll daneben liegt. DIRK KNIPPHALS