Schiiten verlieren absolute Mehrheit

In Iraks neuem Parlament ist die sunnitische Minderheit künftig stärker vertreten. Zur Regierungsbildung braucht die weiterhin stärkste Fraktion der schiitischen Allianz jetzt Koalitionspartner. Säkulare und liberale Parteien sind in der Defensive

AUS SULEIMANIYA INGA ROGG

Die schiitische Allianz von Regierungschef Ibrahim Dschaafari hat ihre absolute Mehrheit im irakischen Parlament verloren. Gemäß dem gestern von der Unabhängigen Wahlkommission bekannt gegebenen Endergebnis kommt die Vereinigte Irakische Allianz im künftigen Parlament auf 128 der 275 Mandate. Damit sind die Schiiten zwar weiter stärkste Fraktion im Repräsentantenhaus, wie Iraks Parlament jetzt heißt. Doch ist sie zur Regierungsbildung auf Koalitionspartner aufseiten der Kurden und der arabischen Sunniten angewiesen.

Zweistärkste Fraktion wird die Kurdistan-Allianz mit 53 Sitzen, gefolgt von der arabisch-sunnitischen Tawafuk-Front mit 44 Mandaten. Insgesamt zählen die Kurden 58 und die Sunniten 61 Abgeordnete. Die Turkmenen stellen zwei und die Christen einen Abgeordneten.

Das Endergebnis entspricht damit weitgehend den bereits kurz nach der Wahl im Dezember von der Wahlkommission veröffentlichten vorläufigen Ergebnissen. Heftige Vorwürfe über Wahlmanipulationen hatten jedoch eine erneute Überprüfung notwendig gemacht. Vor allem die Sunniten, die sich diesmal in großer Zahl an der Wahl beteiligt hatten, fühlten sich betrogen.

Eine von der UNO und der Arabischen Liga unterstützte internationale Beobachterkommission bescheinigte der Wahl trotz aller Mängel jedoch weitgehende Fairness. In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht bemängelte die von Kanada geführte International Mission for Iraqi Elections vor allem die unzulänglichen Wählerregister.

Darüber hinaus bestätigte sie, dass Wähler eingeschüchtert und Wahlurnen gestohlen oder manipuliert wurden. Es sei zu Mehrfachabstimmungen gekommen, und das Verbot von Werbung am Wahltag sei verletzt worden.

Die Wahlkommission hatte schließlich die Stimmzettel aus 227 Wahllokalen annulliert. Insgesamt habe der Wahlgang jedoch internationalen Standards Genüge getan, sodass die Beobachter darauf verzichteten, eine Wiederholung in den umstrittenen Gebieten zu empfehlen. Nach Verkündung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses haben die Parteien erneut zwei Tage Zeit, um Beschwerden einzureichen.

Inzwischen trafen sich verschiedene Fraktionen an den Hauptsitzen der großen kurdischen Parteien im Norden zu Koalitionsverhandlungen. Dabei war viel von einer Regierung der nationalen Einheit aus Schiiten, Kurden und Sunniten die Rede. Ein Durchbruch wurde freilich nicht erzielt. Aus dem Umfeld der Verhandlungsteilnehmer heißt es, die Sunniten erhöben Anspruch auf das Innen- und das Verteidigungsministerium. Besonders das Innenministerium wollen die Schiiten aber abgeben. Sicher scheint bislang nur, dass der Kurde Dschalal Talabani Präsident bleibt. Für eine Regierungsbildung brauchen der Präsident und seine zwei Stellvertreter eine Zweidrittelmehrheit. Sie schlagen einen Ministerpräsidenten vor, der dann eine einfache Mehrheit braucht.

Großer Verlierer der Wahl ist der frühere Regierungschef Ajad Allawi, dessen Fraktion um 15 auf 25 Abgeordnete schrumpfte. Seine Wahlschlappe ist ein Indiz dafür, wie sehr die säkularen und liberalen Parteien im Irak in die Defensive geraten sind. Es ist aber auch ein Hinweis auf das schwindende Ansehen der Amerikaner. Denn Allawi gilt wie kein Zweiter als Mann Washingtons.

Sein ewiger Rivale, der schillernde stellvertretende Ministerpräsident Ahmed Chalabi, errang überhaupt kein Mandat. Dagegen sind Gruppierungen aus dem Umfeld der Aufständischen und Alt-Baathisten künftig mit 17 Abgeordneten vertreten.