Die Dummen sind immer öfter die Buben

Neue Kultuspräsidentin Ute Erdsiek-Rave über neue Gender-Frage besorgt: Jungs sind in Schulen Nachteilsmagneten

BERLIN taz ■ Das gibt es nicht oft. Eine KMK-Präsidentin setzt gleich zu Beginn ihrer Amtszeit ein streitiges Thema auf die Agenda. Ute Erdsiek-Rave (SPD), Bildungsministerin Schleswig-Holsteins, hat gestern dazu aufgerufen, sich erneut mit der Geschlechtergerechtigkeit in der Schule auseinander zu setzen.

„Jungen haben weniger Bildungserfolge – bei gleicher Intelligenz“, bedauerte Erdsiek-Rave. So seien etwa zwei Drittel der Schulabgänger ohne Abschluss männlichen Geschlechts. Gleichzeitig gelingt es Mädchen immer noch nicht ausreichend, ihre großen Kompetenzvorsprünge in entsprechende berufliche Erfolge umzumünzen. „Frauen haben immer noch eine sehr traditionelle Studien- und Berufswahl“, sagte sie. Das verstärke wiederum das Jungenproblem in den Schulen, denn die Lehrberufe verweiblichten fast völlig. „Das ist keine gute Entwicklung.“

Erdsiek-Rave will, wie sie der taz sagte, mit Fachtagungen und Gesprächen die doppelte Gender-Frage thematisieren. Es gehe nicht darum, daraus einen formellen Arbeitsschwerpunkt der Kultusminister zu machen. Das müsste die Konferenz beschließen. Erdsiek-Rave übernahm gestern turnusmäßig für ein Jahr den Vorsitz der KMK.

Die ausgebildete Lehrerin und dem linken Flügel der SPD zuzuordnende Erdsiek-Rave ist unverdächtig, mit der neuen Jungenförderung einen antifeministischen Rollback zu inszenieren. Die 59-Jährige ist nicht nur formell Frauenministerin ihres Landes, sondern sie hat eine durchaus frauenbewegte Vita hinter sich. Zudem hat sie Mitte der 1970er-Jahre in Schweden gelebt und dort eine progressive Frauen- und Familienpolitik kennen gelernt. „Deutschland ist bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine verspätete Nation“, sagte sie – und freute sich, dass das Thema Familie und Bildung nun ganz oben auf der Prioritätenliste der Parteispitze von SPD und Union stehe. Aber: „An ihren Taten sollt ihr sie messen.“

Der neue offene Stil der Frau aus dem Norden geht weit über den inoffiziellen Schwerpunkt „Schule für Mädchen und Jungen“ hinaus. Erdsiek-Rave äußerte sich betont kritisch zur Föderalismusreform, die quasi alle Zuständigkeiten für Schule und Hochschule an die Länder verschieben wird. „Das darf nicht heißen, dass nun jedes Land machen kann, was es will“, sagte Erdsiek-Rave und pochte auf einem Höchstmaß an Gemeinsamkeiten. Das sei nötig, denn „Mobilität von Schülern und Studierenden ist ein hohes Gut“.

Für ihre Offenheit hat die Ministerin bereits erste Mahnbriefe der Union bekommen. Ihr wurde nahe gelegt, den KMK-Job nicht für eigene Ziele zu instrumentalisieren. Auch hier reagierte sie erfrischend: Niemand brauche sich sorgen, sie werde das Amt beschützen – aber ihre Überzeugungen dennoch nicht verleugnen. CHRISTIAN FÜLLER