„Die BND-Affäre ist tot“

Die Grünen glauben nicht mehr so recht an den Sinn eines Untersuchungsausschusses. Sie setzen die Bundesregierung unter Druck, die offenen Fragen im Parlamentarischen Kontrollgremium schneller und bereitwilliger als bisher zu beantworten

AUS BERLIN JENS KÖNIG

Fritz Kuhn steht im Foyer des Reichstages. Die BND-Debatte im Plenum des Bundestages läuft noch, da gibt der Fraktionschef der Grünen draußen schon Fernsehinterviews. Das ist auch nötig, um die Haltung seiner Partei zu einem Geheimdienst-Untersuchungsausschuss schlüssig zu erklären. Denn drinnen im Saal hatte Renate Künast für die grüne Fraktion eine zwar leidenschaftliche, aber auch reichlich konfuse Rede gehalten.

Kuhn gilt als der kühlere und präzisere der beiden Fraktionsvorsitzenden. „Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein Untersuchungsausschuss notwendig“, sagt er in die Fernsehkameras. „Einiges ist aufgeklärt, jedoch längst nicht alles. Wenn die Bundesregierung aber mit anderen Mitteln als einem Untersuchungsausschuss zur Aufklärung beitragen will, dann kann man darüber reden.“ Mit drei Sätzen hat Kuhn genau die Botschaft gesetzt, auf die es den Grünen an diesem Tag ankommt: Wir sind bereit, auf den Untersuchungsausschuss zu verzichten, wenn die Regierung bei der Klärung offener Fragen zu Guantánamo, Al-Masri-Entführung und BND-Aktivitäten im Irak noch einen Zahn zulegt.

Künast war bei dieser politischen Gratwanderung eine halbe Stunde zuvor noch abgestürzt. Auch sie hatte in ihrer Rede zwar festgestellt, dass „mit den bisherigen konventionellen Mitteln“ die Aufklärung nicht funktioniert habe. Aber dann betonte sie gleich zweimal, dass allein schon die Drohung mit einem Untersuchungsausschuss zur Klärung wichtiger Fragen geführt habe, was man als Angebot verstehen konnte, es bei dieser Drohung zu belassen. Anschließend knöpfte sich Künast nicht etwa Union und SPD für deren genügsame Aufklärungsbemühungen vor, sondern stürzte sich voller Inbrunst in Scharmützel mit FDP und Linkspartei – den potenziellen Verbündeten für einen Untersuchungsausschuss.

Als Künast sich endgültig verzettelt hatte, erhob sich Diether Dehm von der Linkspartei. Dehm, sonst nicht unbedingt im Klub der Hellsichtigen zu Hause, brauchte nur eine Zwischenfrage, um die grüne Fraktionschefin zu erledigen: „Sind die Grünen jetzt für den Untersuchungsausschuss oder dagegen?“ Da lachte der ganze Saal.

In Wahrheit sind die Grünen mittlerweile dagegen, nur offen sagen können sie das nicht. Joschka Fischers Brandrede am Dienstag in der Fraktion hat bei nicht wenigen durchaus Wirkung gezeigt. Viele befürchten in der Tat, ein Untersuchungsausschuss könnte ein Tribunal zur Abrechnung mit Rot-Grün werden. Aber vor allem die offenbar recht überzeugenden Aussagen der beiden BND-Agenten im Parlamentarischen Kontrollgremium am Mittwochabend haben zu einem Umdenken geführt. „Die BND-Affäre ist tot“, sagt ein Mitglied der Fraktionsspitze.

Da kann Hans-Christian Ströbele jetzt noch so oft behaupten, dass es sich bei den Aussagen der BND-Agenten, sie hätten keine Bombenziele an die USA gemeldet, um Angaben von „Beschuldigten“ handele, die überprüft werden müssten. Den Beschluss des Geheimdienst-Ausschusses, die Angaben der Agenten seien „glaubhaft“, hat Ströbele unterschrieben, ebenso wie Wolfgang Neskovic von der Linkspartei.

Dass diese Einschätzung entlastende Wirkung hat, musste sich der Rechtsanwalt Ströbele von dem ehemaligen Staatsanwalt Hans-Ulrich Klose (SPD) vorhalten lassen. „Glaubhaft heißt – ich glaube ihnen. Es heißt nicht – ich halte ihre Aussagen für zweifelhaft.“ Möglicherweise haben die Juristen Ströbele und Neskovic die politische Wirkung des Wortes „glaubhaft“ unterschätzt. „Ströbele und Neskovic haben dem Untersuchungsausschuss die Beine weggehauen“, sagt ein Spitzengrüner. „Was jetzt noch aufzuklären ist, geht auch ohne Ausschuss.“

Parteichef Reinhard Bütikofer deutet eine Kompromisslinie für die Grünen an. Der politische Druck der vergangenen Wochen habe „mehr Transparenz nach außen geschaffen, als man früher je erlebt hat“, sagt er. „Jetzt müssen die Regeln für den Geheimdienst-Ausschuss so verändert werden, dass die Kontrollmöglichkeiten des Parlaments gestärkt werden.“ Die Regierung hat angekündigt, sich einem Gespräch darüber nicht zu verweigern. Am Montag will Kanzleramtsminister Thomas de Maizière (CDU) die Vorsitzenden aller fünf Fraktionen über den offiziellen Stand der Erkenntnisse in der BND-Affäre informieren.

Die Opposition findet nicht zueinander – das ist das eine wichtige Ergebnis der BND-Debatte an diesem Freitag. Das andere: ein selbstbewusst auftretender Außenminister. Frank-Walter Steinmeier verteidigt die rot-grüne Außenpolitik uneingeschränkt. Das Nein der Bundesregierung zum Irakkrieg? War „richtig, differenziert und verantwortungsvoll“. Die BND-Affäre? Die „Inszenierung eines politischen Skandals“, vor der sich die politische Klasse „mit zu viel Demut“ verneigt habe. Die Opposition? Würde mit einem Untersuchungsausschuss Antiamerikanismus hoffähig machen.

Aber Steinmeier versucht es auch auf die sanfte Tour. Die FDP fragt er, ob sie mit einem Untersuchungsausschuss nicht ihre außenpolitische Reputation aufgebe, die auf Scheel, Genscher und Kinkel zurückgehe. Und die Grünen bittet er zu überdenken, ob sie sich aus einer Politik verabschieden wollten, „für die wir gemeinsam Verantwortung getragen haben“.

An dieser Stelle klatscht ein älterer Herr in der letzten Reihe des Parlaments besonders laut Beifall. Es ist Joschka Fischer. Neben ihm sitzt Otto Schily. Er verzieht keine Miene.