Die verflixte Sache mit der Kaufkraft

Brauchen die Arbeitnehmer mehr Geld – oder gehen damit weitere Jobs flöten? Ein Realitäts-Check ist angesagt

Die Beschäftigten verloren in zwölf Jahren 3,5 Prozent ihrer Kaufkraft

BERLIN taz ■ Die Werbemaschinerie von Arbeitgebern und Gewerkschaften ist angelaufen, zum Start der Tarifrunde 2006 in der Metallindustrie. Brauchen die ArbeitnehmerInnen mehr Geld, um durch ihren Konsum die Wirtschaft anzukurbeln? Oder vernichten höhere Löhne noch mehr Jobs? Das ist die Gretchenfrage.

Die Verdienste der ArbeitnehmerInnen sind laut dem WSI-Tarifarchiv der gewerkschaftseigenen Hans-Böckler-Stiftung im vergangenen Jahr im Schnitt nur um 0,5 Prozent gestiegen. Bei einer Preissteigerungsrate von 2 Prozent bedeutet dies, dass die Leute im vergangenen Jahr 1,5 Prozent an Kaufkraft verloren haben.

Seit 1993 habe sich die Kaufkraft aller Beschäftigten in Deutschland im Schnitt um 3,5 Prozent vermindert, rechnen die Gewerkschaften. Die verringerte Finanzkraft führe dazu, dass die Menschen immer weniger konsumierten und deswegen die Wirtschaft schwächele, die von dieser Binnennachfrage abhängig sei. Deswegen müssten die Löhne steigen.

Diese Kausalkette wird von dem arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) als „Populismus“ bezeichnet. Nur ein geringer Teil der Lohnsteigerung lande in den Kassen hiesiger Unternehmen. Ein verheirateter Durchschnittsverdiener mit zwei Kindern gebe beispielsweise von 100 Euro brutto extra im Monat nur 35 Euro für inländische Waren aus. Der Rest gehe für Steuern, Sozialabgaben und den Kauf ausländischer Güter drauf.

Die IG Metall hält dagegen: Auch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern führten indirekt zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, weil sie die Basis für Staatsausgaben etwa für Kindergärten, Schulen oder Straßen darstellten.

Ein Realitäts-Check ergibt, dass trotz der moderaten Tarifabschlüsse in vielen Branchen in den vergangenen Jahren hunderttausende von Jobs in Deutschland verloren gingen, was für die Kaufkrafttheorie spricht. Nur leider führten die hohen Lohnabschlüsse etwa in der Metallindustrie in der ersten Hälfte der 90er-Jahre auch zum Abbau von hunderttausenden von Stellen in dieser Branche. Die Verknüpfungen scheinen also komplizierter zu sein als von den Tarifparteien behauptet. BARBARA DRIBBUSCH