Mit dem Elektromüll nach Ghana

DOKUMENTATION Die Hamburger Künstlerin HM Jokinen ist auf den Spuren des illegal gehandelten Elektroschrotts von Hamburg nach Ghana gereist. In der Hauptstadt Accra breitet sich die riesige Mülldeponie von Agbogbloshie aus. Hier verbrennen Kinder und Jugendliche die ausgedienten Altgeräte, um an verwertbares Metall zu kommen

■ ist bildende Künstlerin und Kuratorin. Sie kommt aus Finnland und lebt seit 1977 in Hamburg. Jokinen ist Mitglied des Arbeitskreises Hamburg Postkolonial, der unter anderem die Umbenennung und Kommentierung von kolonialen Straßennamen fordert. Sie ist Ko-Kuratorin der Ausstellung „Freedom Roads“ – koloniale Straßennamen, postkoloniale Erinnerungskultur, die vom 13. 8. bis zum 23. 9. nach Hamburg kommt.

PROTOKOLL LENA KAISER

Auf den illegalen Handel mit Elektroschrott von Hamburg nach Ghana aufmerksam geworden bin ich durch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung. Da wurde berichtet, wie der Journalist Michael Bitala auf der Müllhalde in Accra eine Festplatte fand mit dem Aufkleber „Bezirksamt Altona“. Ich wohne im Stadtteil Altona, und es interessierte mich schon, ob unsere Bürgerdaten ungesichert in Ghana landen. Offensichtlich ist es kein Problem, gelöscht geglaubte Daten wiederherzustellen, wie Experimente vor Ort gezeigt haben. Zudem machte mich stutzig, warum unser Computerschrott überhaupt in Ghana auftaucht.

Der Export von nicht funktionierenden Elektrogeräten ist nach einer internationalen Vereinbarung (Baseler Konvention von 1992) illegal. Diese müssen bei uns fachgerecht recycelt werden. Trotzdem wird vom Hamburger Hafen aus Elektroschrott ausgeführt. Schätzungsweise 150.000 Tonnen Altgeräte jährlich landen von Deutschland aus in Afrika und Asien. Exakte Zahlen gibt es nicht. Der Zoll kommt bei den großen Mengen gar nicht hinterher. Bei Zollkontrollen in Containern stehen dann ein paar funktionierende Altgeräte vorneweg, dahinter ist der Schrott. Der Zoll macht einen Container auf, holt einige Geräte raus, steckt sie in die Steckdose, um zu kontrollieren, ob sie noch funktionieren. Ist dies der Fall, geht auch der Rest mit. Aus den Häfen dieser Welt – in Europa vor allem Hamburg, Antwerpen, Rotterdam – kommen schätzungsweise 12.000 Computer wöchentlich nach Ghana. Ganz zu schweigen von Autoschrott, Kühlschränken und anderen Elektrogeräten. Nach Angabe ghanaischer Schrotthändler und UmweltaktivistInnen sind 70 Prozent der importierten Geräte nicht funktionstüchtig.

Mit einer Sondergenehmigung hatte ich Zutritt zum Hamburger Hafengebiet, um dort zu fotografieren. Dabei hatte ich die Auflage, keine Bilder vom Schrott zu machen. Aber bei den Waren, die nach Westafrika gingen, habe ich reichlich Kaputtes vorgefunden: lange Reihen von Schrottautos mit Aufklebern, auf denen die Namen westafrikanischer Zielhäfen wie Abidjan, Conakry, Cotonou, Dakar, Douala, Freetown, Lagos, Libreville, Lomé, Luanda, Monrovia, Pointe Noire, Tema angebracht waren. Viele diese Wagen fahren nicht mehr, sondern werden mit Sonderfahrzeugen in den Schiffsrumpf geschoben.

Mit dem Hamburger Jahresarbeitsstipendium und einer Einladung der Universität Kumasi bin ich nach Ghana gereist, um dort einen Workshop für Kunst im öffentlichen Raum zu geben. Dabei hatte ich die Möglichkeit, weitere Recherche zu betreiben. Zunächst besuchte ich das Hafengebiet Tema in der Hauptstadt Accra. Der Elektromüll aus Hamburg und von anderen Häfen findet von hier aus seinen Weg in den etwa 20 Kilometer entfernten Stadtteil Old Fadama. Eine riesige Mülldeponie auf einem Gelände mit dem Namen Agbogbloshie breitet sich dort aus. Kinder und Jugendliche verbrennen Plastikteile, um an verwertbares Metall, Aluminium, Kupfer und Eisen zu gelangen. Dort türmen sich Kühlschränke, denen die äußere Verkleidung entfernt wurde. Der Isolierschaum brennt besonders gut. Er wird angezündet, dann kommen die plastiküberzogenen Kabel ins Feuer. Der Kunststoff brennt, und übrig bleibt das Kupfer. Hinter dem Monitorglas der Fernseher findet sich Aluminium. Autos werden in Old Fadama per Hand, bloß mit Hammer, Meißel und Schraubenzieher, auseinander genommen. Nach der Tagesarbeit wird das Bisschen wertvolles Metall an die Schrotthändler verkauft, was ein paar Euros bringt. So verdienen die Kinder das Schulgeld und zum Familienunterhalt dazu.

Ein älterer Fernseher beinhaltet bis zu 4.300 verschiedene Chemikalien. Bei Kühlschränken ist auch das Metall des Kompressors begehrt. Der giftige Ozonkiller FCKW, der in der Kühlflüssigkeit enthalten ist, wird auf den Boden gekippt. Wann erfahren wir von einem Ozonloch über Ghana? Die Luft ist verpestet, die Korle-Lagune eine Giftbrühe. Das toxische Wasser mit Flammschutzmitteln, Schwermetallen und Quecksilber fließt direkt ins Meer. Die BewohnerInnen von Old Fadama, insbesondere die Kinder, werden krank. In einer Filmreportage berichtete ein Arzt mit einer Praxis vor Ort über Erkrankungen der Atemwege und Krebsgefahr. Die Händler, die sich auf Computerfestplatten spezialisiert haben, versicherten mir, dass ein Teil davon zurück nach Europa gehandelt wird. Den Müll um den Globus zu bringen und zurück, ist absurd. Vor Ort interessiert sich auch eine Datenmafia für die Festplatten. UmweltaktivistInnen haben darauf aufmerksam gemacht, dass in Agbogbloshie hochsensible Daten, u. a. Kreditkartennummern gefunden wurden, und auch interne Daten von Universitäten, der US-Sicherheits- und Umweltbehörden und Bürgerdaten des britischen Gesundheitsministeriums.

Früher war Old Fadama Stadtgarten und Farmland, wie die Mutter der Künstlerkollegin Ralitsa Diana Debrah erinnert. Heute ist der Stadtteil in einem desolaten Zustand. Ich hielt mich nur eine Stunde dort auf, und der Gestank der brennenden Kunststoffe war unerträglich. Die dicken, schwarzen Rauchwolken führten bei mir zu Kopfschmerzen und zu tagelangem Husten. Die Umweltkatastrophe hat zu einem Fischsterben vor der Küste Accras geführt. Die lokalen Fischer haben ihren Lebensunterhalt verloren. Weiter draußen im Meer konnte ich die Trawler der reichen Nationen beobachten, wie sie den Rest leer fischen. Old Fadama, die Hüttensiedlung neben der Müllkippe Agbogbloshie, ist ein Zongo, was in der Hausa-Sprache „Karawane“ heißt. Dort leben etwa 40.000 Menschen, zumeist Moslems der Hausa, die früher mit ihren Karawanen zwischen Ägypten und Ghana Handel betrieben, bis sie nach und nach sesshaft wurden. Die Bevölkerungsgruppe Ga sieht sich aber als rechtmäßigen Landbesitzer von Old Fadama, was zu Spannungen zwischen ihnen als die christliche Mehrheitsgesellschaft und den Bewohnern des Zongos führt. Einige Zeitungen der lokalen Presse tun ein Übriges, um die Stimmung anzuheizen.

Von der Müllhalde zum Freizeitpark

Aktuell wollen Investoren aus arabischen Ländern aus Old Fadama einen Freizeitpark machen. Wie diese Pläne und der hohe Grad an Kontamination zusammenpassen, bleibt ein Rätsel. Dafür möchte die Stadtregierung die BewohnerInnen an den Stadtrand umsiedeln. Dort gibt es aber keine Märkte, also keine Möglichkeiten, zum Familienunterhalt dazuzuverdienen. Gegen die Vertreibung kam es in Old Famada zu Protestaktionen, die von Nichtregierungsorganisationen unterstützt wurden.

Nach meiner Recherche fuhr ich dann nach Kumasi, zweitgrößte Stadt Ghanas, etwa sechs Busstunden von Accra entfernt. An der Universität habe ich mit den KollegInnen Charlie Michaels aus den USA sowie den ghanaischen KünstlerInnen Ralitsa Diana Debrah und Rex Akinruntan einen Workshop für StudentInnen und Postgraduierte der Kunstfakultät durchgeführt, in dem wir einen weiteren Zongo mit dem Namen Ayigya zum Thema unserer künstlerischen Untersuchung gemacht haben.

Ich konnte auch hier beobachten, wie auf den Ausfallstraßen LKWs Ladungen mit Elektroschrott transportieren. In Ayigya gibt es kleine Händler für Altgeräte, wobei diese nicht so aussehen, als würden sie noch funktionieren. Männer tragen Kühlschrank-Kompressoren auf dem Kopf. Hinter diesen kleinteiligen Geschäften steht ein offensichtlich organisierter Gewerbezweig.

Zurückgekehrt nach Hamburg habe ich meine Recherche in der Billstraße fortgesetzt. Hier werden auf Werkhöfen die schrottigen Kühlschränke, Computer und Fernseher gelagert. Was nicht funktioniert, darf in Deutschland nicht verkauft werden. Diese Geräte werden in Containern oder vollgepackten Autos vom Hamburger Hafen aus verschifft. Manchmal warten die Händler vor den Recyclinghöfen auf Altgeräte und wollen diese abkaufen. Die Deutsche Umwelthilfe schließt nicht aus, dass selbst von einigen städtischen Recyclinghöfen Elektronikabfall auf dunklen Wegen nach Afrika und Asien gelangt.

In der Billstraße befindet sich der Hauptsitz des Hamburger Umweltamts. In unmittelbarer Nachbarschaft der Umweltbehörde wird Elektroschrott gehandelt. Auf telefonische Nachfrage wurde mir mitgeteilt, die Menschen in armen Ländern seien doch glücklich, wenn sie in den Besitz noch funktionierender Altgeräte kommen. Mein Argument, dass etwa 70 Prozent der Geräte Schrott sind und illegal exportiert werden, stieß weitgehend auf taube Ohren.

Dabei gäbe es gute Alternativen. Hersteller von Computer-Hardware und anderen Elektrogeräten hätten schon längst auf weniger toxische Materialien umsteigen können, wie von Umweltorganisationen gefordert. Das Freiburger Öko-Institut hat für Ghana eine Recycling-Studie vorgelegt, die Umweltschutz, Gesundheitsvorsorge und soziale Gerechtigkeit verbindet. Es gibt auch eine neue Richtlinie der Europäischen Union, illegale Exporte wirksamer zu kontrollieren und die Edelmetalle, die in den Geräten beinhaltet sind, in Deutschland zu recyceln. Diese hilft zwar den Menschen in Ghana nicht, soll aber die unsinnigen Verkehrswege des Mülls rund um den Globus unterbinden. Ich bleibe dennoch skeptisch über die Wirksamkeit solcher Richtlinien, sind und bleiben doch die illegalen Müllexporte ein Milliardengeschäft.

Die Länder des Nordens werden durch den Ressourcenraub in den Ländern des Südens reich. Die Entwicklungshilfe stellt im Vergleich zum Profit der reichen Länder nur einen Bruchteil dar, der zurückfließt. Warum also nicht Ghana neue Computer, Fernseher sowie FCKW-freie Kühlschränke schenken, die lange halten?