Der vorletzte Geburtstag

Zum Wiegenfest der Wahlalternative ein Potpourri: Von W wie Wohngemeinschaft bis G wie Glattlederweste. Schade, dass die Linken nur noch einmal Geburtstag feiern dürfen

VON KLAUS JANSEN
UND MARTIN TEIGELER

1. Die WASG ist die erfolgreichste Parteigründung in der deutschen Parlamentsgeschichte. Bereits acht Monate nach ihrer Gründung zogen WASG-Kandidaten bei der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September 2005 ins Parlament ein. Zum Vergleich: die Grünen wurden 1979/1980 gegründet. Erst 1983 schafften sie den Einzug in den Bundestag.

2. „Erwachsen? Wir waren schon am Anfang alle erwachsen“, sagt WASG-Landeschef Wolfgang Zimmermann. Geburtstag gefeiert wird in dieser Woche in Witten. Zimmermann wünscht sich: „Mehr finanzielle Ressourcen, hauptamtliche Mitarbeiter in der Landesgeschäftsstelle, mehr Mitglieder.“ Zur Zeit sind es 3.050.

3. Die WASG hat eine Lebenserwartung von zweieinhalb Jahren. Im Juni 2007 wollen Linkspartei.PDS und Wahlalternative fusionieren.

4. Der Düsseldorfer Bildungsanbieter ASG (Arbeitsgemeinschaft Sozialpädagogik und Gesellschaftsbildung e. V.) bekam wochenlang Post, die an die WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit) adressiert war. „Es haben auch viele Leute bei uns angerufen, die bei denen eintreten wollten“, sagt Sprecher Kaspar Kamp. Die ASG hatte per Gericht durchgesetzt, dass die WASG ein W in ihrem Namen tragen musste – um Verwechslungen zu vermeiden.

5. Die sieben nordrhein-westfälischen Abgeordneten der Linksfraktion im Bundestag sind dreizehnmal in Parteien eingetreten. Mit dabei sind ehemalige Mitglieder von SPD, Grünen und DKP.

6. Aus dem 15-köpfigen Gründungsvorstand des Vereins Wahlalternative in NRW sind nur noch fünf im aktuellen Landesvorstand vertreten.

7. „Ich bin Sozialdemokrat. Ich bin für eine starke Linke und gegen Zersplitterung.“ (Oskar Lafontaine im Landtagswahlkampf am 28.4.2005 in Krefeld). Einen Monat später kündigte er in der Bild-Zeitung an, für ein Linksbündnis zur Bundestagswahl anzutreten.

8. Anzahl der Journalisten auf Versammlungen und Parteitagen der WASG-NRW:

Duisburg 2004 (Gründung des Vereins WASG): 3

Dortmund 2005 (Wahl der NRW-Spitzenkandidaten): 2

Düsseldorf 2005 (Gründung der Landespartei): 10

Krefeld 2005 (Rede von Oskar Lafontaine): 40

Köln 2005 (Parteieintritt von Oskar): 50

Witten 2005 (Neuwahl Vorstand): 2

9. Der erste WASG-Landessprecher und heutige Bundestagsabgeordnete Hüseyin Aydin trägt am liebsten graue Anzüge und lebt in Berlin in einer Wohngemeinschaft mit den Fraktionskollegen Werner Dreibus und Axel Troost. Eine große Küche ist dem Hobbykoch wichtig. Im Februar oder März will er seine erste Rede im Plenum des Bundestags halten. Thema: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

10. Bei der Geburtstagsfeier wird Hüseyin Aydin genauso fehlen wie seine Herforder Fraktionskollegin Inge Höger-Neuling: Die beiden fahren nach Caracas – in der venezolanischen Hauptstadt steigt das Weltsozialforum bei Hugo Chávez.

11. WASG-Pressesprecher Georg Fürböck war einst politischer Korrespondent für mehrere Tageszeitungen in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn. Beim Kölner Landesparteitag im Juni 2005 waren einige alte Kollegen aus Bonner Zeiten vor Ort. „Schau an, der Schorschi ist jetzt Parteimanager“, sagte Dieter Wonka, Hauptstadtreporter der Leipziger Volkszeitung.

12. Den sinnlosesten Parteitagsantrag stellte ein genderpolitisch bewusster Delegierter aus den hinteren Reihen im Oktober 2005 in Witten. In der Debatte über die Tagesordnung meldete sich der Herr empört zu Wort. Sein Begehren: Der Tagesordnungspunkt 18 „Wahl eineR Delegierten zum Länderrat“ sei nicht geschlechtsneutral formuliert worden. Inbrünstig forderte der WASG-Mann eine politisch korrekte Wortwahl und schlug die Formulierung vor: „Wahl eineS Delegierten zum Länderrat.“

13. WASG-Parteitage dauern länger als die der politischen Konkurrenz. Inoffizieller Rekord: Der vergangene Landesparteitag begann Ende Oktober 2005 in Witten und wurde Anfang November in Düsseldorf fortgesetzt. Nur ein Cricket-Spiel dauert länger.

14. Es ist übrigens ein böses Gerücht, dass männliche WASG-Mitglieder über 45 dazu verpflichtet sind, eine Glattlederweste zu tragen und Pfeife zu rauchen.

15. Oberster Parteirebell ist Markus „Wayne“ Schlegel. Erst gründete er mit anderen den Leverkusener Kreis, um gegen das Wahlbündnis mit der PDS zu protestieren. Dann kandidierte der Sigrid Skarpelis-Sperk der WASG um die Spitzenkandidatur gegen Oskar Lafontaine – erfolglos. Nach einem wütenden taz-Interview eröffnete die Partei ein Ausschlussverfahren gegen ihn.

16. In der Einladung zur WASG-Jubiläumsparty heißt es: „Da auch geschwoft werden soll, bringt tanzbare CD‘s mit!“ Die vermutlichen Lieblingslieder der Wahlalternativler: Stairway to heaven (Led Zeppelin), Total Eclipse Of The Heart (Bonnie Tyler), Summer of 69 (Bryan Adams), Rockin‘ all over the World (Status Quo), Wind of change (Scorpions).

17. Die Parteifarbe der WASG ist orange. Es gibt keine politische Partnerschaft mit der Partei des ukrainischen Staatschef Viktor Juschtschenko.

18. Lieblingspolitikerin der WASG ist Katharina Schwabedissen. Nicht nur wegen des Namens. Die Landessprecherin sitzt als einzige WASGlerin im nordrhein-westfälischen Landtag – auf der Zuschauertribüne. Außerdem ist sie die einzige Parteivorsitzende in NRW ohne Handy. Sehr sympathisch.

19. „Vielleicht haben wir noch nicht so das Standing wie die etablierten Parteien“, sagt Landessprecher Zimmermann. Immerhin: Alle Gegner gratulieren freundlich zum Geburtstag. Im vergangenen Jahr war Ignorieren noch Pflicht.

20. „Meinen sie Wohnalternative?“ fragt der Nachrichtendienst der Internet-Suchmaschine Google noch immer, wenn man Neues über die Wahlalternative sucht.