DIE EINE FRAGE
: Merkel bleibt Libero

HAT DAS CHAMPIONS-LEAGUE-FINALE DORTMUND GEGEN BAYERN EINE GESELLSCHAFTLICHE DIMENSION?

Adenauer und Herberger (Wunder), Brandt und Netzer (Aufbruch), Kohl und Berti (Hirntod), das fußballerische Totaldesaster der rot-grünen Jahre: Und welche gesellschaftspolitische Dimension hat das Champions-League-Finale von heute Abend zwischen Borussia Dortmund und dem FC Bayern München, was sagt das über den Fußball hinaus über unser Land aus? Ich antworte heute selbst. Wer sollte das sonst in den Griff kriegen; der Spiegel?

Meine Antwort ist: Es sagt objektiv gar nichts aus. Es sollte Leitbildfunktion haben. Hat es aber nicht.

Ausgerechnet der deutsche Fußball hat im Jahr 2000 im Angesicht des Desasters – verkörpert durch den furchtbar-anachronistischen Libero Lothar Matthäus – die Kraft gefunden, sich mithilfe von Fußballschulen – also mit einer neuen und zeitgemäßen Ausbildung unserer Kinder – neu zu erfinden. Hinzu kam das rot-grüne Staatsbürgerrecht. Deutsche Politik und Gesellschaft ist weit entfernt von einer Weiterentwicklung. Ihre Selbstbeschwörung lautet: Läuft doch. Irgendwie. Was man daran sieht, dass sich das Land mit seinem Libero Merkel einigermaßen wohl fühlt. Neue Ideen, neue Koalitionen? Oder wenigstens das Gymnasium durch was Besseres ersetzen, was ja das Naheliegendste wäre? Hilfe!

Subjektiv ist es allerdings so, dass in Europa ein Zusammenhang gefühlt wird zwischen vermeintlicher deutscher Stabilität, gefühlter Übermacht der deutschen Politik und dem Champions-League-Finale. Die Konstellation scheint die Vormachtstellung Deutschlands zu bestätigen. Das hört man in Frankreich, in Italien und nun auch in Spanien, das jahrelang sagen konnte, es sei ja immerhin im Fußball die Nummer 1. Weltfußballmacht Deutschland? Der Mehrheitstenor lautet: Auch das noch.

Aus innerdeutscher Sicht ist es so, dass keiner der beiden Clubs eine Partei oder eine gesellschaftliche Strömung symbolisiert. Es ist nicht Arm gegen Reich, nicht Groß gegen Klein und schon gar nicht Gut gegen Böse, auch wenn sich Borussia Dortmund krampfhaft als sympathischer Außenseiter stilisiert und der FC Bayern sich noch verkrampfter als unsympathischer Alles-gewinnen-Müsser.

Es ist nicht mal Deutsch gegen Deutsch. Es sind Fußballkonzerne, die mit der deutschen Wirtschaft vernetzt sind, eine Reihe deutsche Weltklassefußballer beschäftigen, aber einen internationalen Fußball spielen. Sonst wären sie ja nicht erfolgreich. Schweinsteiger, Reus, Lahm, Hummels, Götze, Neuer oder Müller (und auch die Real-Spieler Özil und Khedira) haben keine deutschen Tugenden, sondern internationale Klasse. Die basiert nicht auf Blut, sondern Talent, Ausbildung, Charakter.

Die Deutschen sind übrigens nicht in zwei, sondern in drei Lager gespalten: in die Bayern-Fans, die Dortmund-Fans und die Bayern-Hasser. Letztere haben das emotionale Problem, dass Bayern-Trainer Jupp Heynckes mittlerweile extrem positiv aufgeladen ist. Im Gegensatz dazu sind manche inzwischen von BVB-Trainer Jürgen Klopp genervt. Aber das ist alles Pipifax.

Heute Abend geht es um Fußball. Um alles, was Fußball zu geben hat. Großartige Spieler und das atemberaubende Duell zweier führender Variationen des modernen Fußballs. Die Bayern mit größerem Interesse an Dominanz durch Ballbesitz, die Dortmunder mit größerem Interesse an Dominanz ohne Ballbesitz. Es wird so geil. Möge der Bessere gewinnen.

Also der BVB.

Peter Unfried ist taz-Chefreporter