berliner szenen Lady Schäfer

Mysterium im Keller

Ich finde das Haus einfach nicht wieder. Seit einer halben Stunde irre ich die Danziger Straße entlang, aber es scheint wie vom Erdboden verschluckt. Langsam beginne ich, an mir selbst zu zweifeln. Aber ich habe es mir doch nicht eingebildet, auch wenn es gestern spät war und ich einige Gläser Wodka getrunken hatte. Es muss hier irgendwo sein. Über einer Treppe, die ein paar Stufen hinunter in einen Kellerraum führte, hing ein Schild, auf dem in lackglänzenden, geschwungenen roten Buchstaben „Lady Schäfer“ geschrieben stand. Das Schild war eingerahmt von blühenden Herzen und leuchtete weit und hell in den Januar hinaus und hängte sich wie ein Magnet auf meine Netzhaut.

In der Nacht träumte ich von einer Bergwiese, auf der eine thailändisch aussehende Frau Schafe schor, um sich daraus Handschuhe und eine Wollmütze zu stricken, weil der Winter in Berlin kalt ist. Das ergibt natürlich überhaupt keinen Sinn. Und deshalb will ich jetzt wissen, was sich wirklich hinter dem Schild verbirgt. Wer ist diese Frau? Was für Dienste bietet sie an? Vielleicht kann man bei ihr ein Schäferstündchen auf einem Stück Kunstrasen buchen, während man auf eine Fototapete mit Schafen blickt und aus Lautsprechern das Gebimmel von Glocken zu hören ist. Vielleicht betreibt sie aber auch einfach nur ein ganz normales und züchtiges Epilierungsstudio für Frauen.

Ich bin jetzt mindestens zwei Kilometer die Danziger Straße entlanggelaufen und meine Gedanken fühlen sich mittlerweile wie ausgequetschte Zahnpastatuben an. Wahrscheinlich werde ich dieses Haus nie wiederfinden. Ich werde wohl nie erfahren, wer diese mysteriöse Frau Schäfer ist und womit sie ihren Lebensunterhalt verdient.

DANIEL KLAUS