Arbeit an der Verführung

Sich ins Getümmel stürzen: Mit drei Ausstellungen und einem Symposium dokumentiert das Projekt „Gleichzeitig in Afrika …“ die Schwierigkeit afrikanischer Künstler, Wege zu ihrem Publikum zu finden

Offenherzig redeten Künstler darüber, nicht gebraucht und verstanden zu werden

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Einen Moment lang irritierte der senegalesische Künstler Kan-si seine Zuhörer: Beim Symposiums „Gleichzeitig in Afrika …“ am Freitag in der Universität der Künste begrüßte er sie in seiner eigenen Sprache. Erst als er ins Englische wechselte, gab sich die Verwirrung – als Erstes aber erzählte Kan-si von seinem großen Bedürfnis, einmal eine Lecture über seine Kunst in seiner Sprache zu halten. Aber eine Sprache allein reiche eben nicht aus, sagte er, um alle Identitätsbestandteile auszudrücken, die einen afrikanischen Menschen 2006 ausmachen.

Kan-si stellte sich mit Projekten vor, in denen er immer wieder nach einem perspektivischen Punkt sucht, von dem aus er dem westlichen Blick auf Afrika und seinen identitären Zuschreibungen entkommen kann. Eine Arbeit setzte sich mit der Anmaßung der Afrikatouristen auseinander, die alles, ohne zu fragen, fotografieren. Kan-si drehte den Spieß um: Er bat Touristen, sich von den Bewohnern eines viel besuchten Viertels in Dakar fotografieren zu lassen. Die fast 150 Bilder stellte er später auf einer oft begangenen Brücke aus – so wollte er das Nachdenken über das Recht am eigenen Bild anregen. Aber schon nach einer Nacht hatten betrunkene Jugendliche seine Installation zerstört. Wer den örtlichen Rahmen verschiebt, sagt Kan-si, nimmt eben Risiken auf sich.

Es ist nicht das Fehlen eines Kunstmarktes oder der Mangel an Geld und Produktionsmitteln, der die nach Berlin eingeladenen Künstler und Zeitschriftenmacher aus Senegal, Nigeria, Kamerun und Südafrika am meisten umtreibt. Ihnen geht es um Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit, sie kämpfen um eine Community, die sie ernst nimmt – und sei es erst mal einfach die eigene Neighborhood. Eines wurde auf dem Symposium schnell deutlich: Der Unterschied künstlerischer Produktionen im Westen und in Afrika ist nicht sehr groß – überall bemühen sich künstlerische Aktivisten, sich über Interventionen und Empathie sozial zu verorten.

Afrika ist keine kulturelle oder politische Einheit. Zusammengehalten wird das Bild des Kontinents eher durch den Mangel an differenziertem Wissen über die einzelnen Staaten und ihre Geschichte. Dagegen wendet sich das Projekt „Gleichzeitig in Afrika …“, das von der Bundeszentrale für politische Bildung, vom Einstein Forum und der UdK veranstaltet wird: Es will in kleinen Ausschnitten den Blick auf die Bedingungen von Kunstproduktion und -rezeption lenken, vor allem auf Formen selbst organisierter Vermittlung.

Goddy Leye, Künstler und Kunstaktivist aus Douala in Kamerun, erzählte von einem Projekt 2002. Mit zwei Kollegen aus Spanien und Südafrika versuchte er, ein nachhaltiges Konzept für ein Stadtviertel von Douala zu entwickeln, in dem Elektrizität und sauberes Wasser fehlten. „Welches Recht hat Kunst da überhaupt?“, fragte er sich – und: „Was bleibt davon für die Menschen?“ Deswegen überlegte sich seine Gruppe, wie das Verhältnis der Bewohner untereinander verbessert werden könnte. Goddy Leye fotografierte Frauen, Männer und Kinder und klebte die Porträts als Poster an Mauer und Wände; er richtete eine kleine Radiostation ein und ließ die Jugendlichen des Viertels das Programm machen – das erste freie in einer Gegend, in der Radiohören neu ist und alle übrigen Sender kommerziell arbeiten. Das Radioprojekt zeitigte Erfolg: Es führte dazu, dass die Bewohner eigeninitiativ ihren Fluss säuberten und die Wasserstelle einfassten.

Die Angst, nicht gebraucht zu werden, die Angst, nicht verstanden zu werden – es ist sehr selten, dass Künstler darüber öffentlich so offenherzig reden wie sie es hier taten. Auch Dominique Zinkpè, der mit Goddy Leye und Kan-si im Deutschlandhaus ausstellt, arbeitet aus diesem Grund auf der Straße. Mit seinem Projekt „Taxis Zinkpè“ tut er das ganz offensiv. Mit hoch beladenen Sammeltaxis, voll mit Passagieren und Skulpturen, reiste er von Station zu Station, nach Benin, Niger und Senegal. „Das Taxi“, sagt Zinkpè, „ist eine Art Verführung, um herauszubekommen, ob meine Arbeit einen Afrikaner genauso wie einen Westler ansprechen kann.“

Von einer anderen Suche nach Kommunikation berichteten zwei Herausgeber von Zeitschriften. Olakunie Tejuoso gründete vor zehn Jahren in Lagos die Glendora Review während der Militärdiktatur. Die vier Läden in der Stadt, wo die Zeitschrift verkauft wird, sind zu einem wichtigen Treffpunkt für Künstler geworden. Eine Funktion der Zeitschrift ist, eine Brücke zu bauen zu den exilierten Intellektuellen in der Diaspora, die so oft gar nichts mehr wissen von der Kunstproduktion zu Hause. Für Ntone Edjabe, Autor und DJ, der seit 2002 in Kapstadt die Zeitschrift Chimurenga herausgibt, war die Glendora Review entscheidendes Vorbild. Edjabe sucht einen Raum des Denkens des öffnen, in dem es nicht in erster Linie um nationale Identität oder die Unterscheidung vom Westen geht. Zu lange habe der Widerstand gegen die Apartheid und die Bildung der Nation nach der Befreiung die Energien gebunden. Auch wenn die Zeitschrift auch im Netz (www.chimurenga.co.za.) ist – als gedrucktes Heft sei sie ihm wichtiger, sagt Ntone Edjabe, denn so träte sie bewusster an gegen all die magazinigen Bilder von Afrika, in denen er sich nie wiederfinden könnee.

Die Zuhörer in der UdK, in der Zeitschriften und Künstlergruppen noch diese Woche in einer Ausstellung präsentiert werden, stellten vor allem sachliche Fragen. Je mehr man über die Zeitschriften erfuhr, desto deutlicher wurde, wie sehr die Rede vom Informationszeitalter auch eine Schimäre ist. Öffentlichkeit ist ein sehr fragiles Gebilde, nicht nur in den jungen Staaten Afrikas. „Gleichzeitig in Afrika …“ machte nicht zuletzt die blinden Flecken und Filter in unseren Systemen der Information bewusst.

Dominique Zinkpè, Kan-si und Goddy Leye, im Deutschlandhaus, Stresemannstr. 90, tägl. 15–19 Uhr, bis 12. 2. Zeitschriften und Künstlergruppen werden in der UdK vorgestellt, Hardenbergstr. 33, Mo.–Sa., 14–17 Uhr, bis 28. 1. Die Fotografengruppe DOF aus Lagos, Einstein Forum Potsdam, Am Neuen Markt 7, Mo.–Fr. 10–17 Uhr, bis 10. 3