Gleich gespürt

Die deutschen Handballer gewinnen ihre letzten EM-Tests gegen Ungarn, verlieren aber Spielmacher Oleg Velyky

MANNHEIM taz ■ Der Vorhang öffnet sich am Donnerstag – und viele Fragen sind noch offen. Am Samstagabend ist gar eine neue Unwägbarkeit für Deutschlands Handballer hinzugekommen: Oleg Velyky (28), der von Bundestrainer Heiner Brand ausgeguckte Führungsspieler, hat sich in Mannheim bei der Generalprobe zur Handball-Europameisterschaft in der Schweiz (26. Januar bis 5. Februar) das vordere Kreuzband im rechten Knie gerissen. Während seine Teamkollegen übermorgen als lädierter Titelverteidiger ins grenznahe Basel reisen, um möglichst gut abzuschneiden und auch die Werbetrommel für die WM 2007 im eigenen Land zu rühren, wird sich der gebürtige Ukrainer Velyky höchstwahrscheinlich in Heidelberg operieren lassen.

Das erfreuliche 30:26 (11:14) gegen den Olympiavierten Ungarn (schon am Freitag hatte man die spielfreudigen Magyaren in Offenburg mit 33:32 bezwungen) geriet damit zur Makulatur. Denn der Ausfall seines mittlerweile einzigen Spielmachers erschütterte Heiner Brand bis ins Mark. Der Gummersbacher hatte keinen Blick mehr für das Handballfest vor der deutschen Länderspiel-Rekordkulisse von 13.200 Zuschauern in der schmucken SAP-Arena. Sichtlich mitgenommen, gedankenschwer, leise und doch tapfer stellte er sich anschließend den Fragen der Reporter. „Der Oleg bleibt nicht einfach so liegen“, öffnete Brand ein Minifenster seiner Trainerseele, zu einem Zeitpunkt, da er um die Schwere der Verletzung noch gar nicht genau wusste und zumindest noch ein klein wenig hoffen konnte. Doch schon am Abend, nach einer Kernspintomografie in der Ludwigshafener BG-Unfallklinik, war diese Resthoffnung gestorben, und es herrschte nur noch traurige Gewissheit: Kreuzbandriss, EM-Aus und womöglich Saisonende für den Denker und Lenker der aufstrebenden SG Kronau/Östringen. Bereits Velykys unmittelbare Reaktion nach 33:14 Minuten Spielzeit sprach Bände: Sein Vereinskollege Uwe Gensheimer hatte von Linksaußen abgezogen, einen Wimpernschlag später lag Velyky direkt vor dem Regiepult flach auf dem Boden. Beide Hände schlug der 28-Jährige vors schmerzverzerrte Gesicht. „Ich habe gleich gespürt, dass etwas kaputt ist“, erzählte er später, dessen subjektives Wahrnehmungsgefühl sich derart ausdrückte, dass er dachte, ihm sei „jemand in die Seite gesprungen“. In Wirklichkeit war weit und breit keiner da – und das Ganze also ein folgenschwerer Knieverdreher.

Für den Bundestrainer war’s ein weiteres Kapitel einer unendlichen Verletzungsgeschichte. Ohne Stephan, Baur, Immel, Glandorf und nun Velyky muss er zur EM reisen, wo zum Auftakt am Donnerstag gleich Weltmeister Spanien wartet (15.45 Uhr, live in der ARD). Nun, so Brand, müsse der Rest eben „noch enger als ohnehin zusammenrücken“. So wie in den letzten 20 Minuten am Samstag, als tatsächlich eine Trotzreaktion erfolgte. Vor allem Pascal Hens drehte in seinem 100. Länderspiel plötzlich auf, vor allem das Anspiel an den Kreis klappte da vorzüglich, das gerade weiter dezimiertes Kollektiv zeigte trotz des Velyky-Ausfalls „vorne gewisse spielerische Qualitäten“, wie es Brand sachlich-distanziert formulierte. Dennoch bleibt ein Höchstmaß an Ungewissheit. Wie kann ein Orchester ohne seinen intelligenten Dirigenten Velyky spielen? Frank von Behren, Pascal Hens, Michael Hegemann und Volker Michel müssen sich bei der EM nun die Verantwortung teilen, der Spielaufbau wird – zumal bei einem kräftezehrenden Turnier – zum Knackpunkt. Heiner Brand ist sich dessen bewusst. „Ich bin nicht in der Lage, unser Leistungsvermögen einzuschätzen“, sagt er – und starrt dabei ins Leere. Alsbald werden seine offenen Fragen beantwortet werden. JOACHIM KLAEHN