Sieg mit Willen

Michael Walchhofer, Abfahrtsweltmeister des Jahres 2003, gewinnt zum ersten Mal auf der Streif und sorgt dafür, dass der rotweißrote Chauvinismus doch noch ausgiebig zur Geltung kommt

In Kitzbühel sind die Zuschauer traditionell entweder prominent oder spätestens ein paar Stunden nach dem Rennen alkoholisiert

AUS KITZBÜHELELISABETH SCHLAMMERL

Wenn es dunkel wird, geht am Hahnenkamm-Wochenende in Kitzbühel die Party erst richtig los. Bei der abendlichen Siegerehrung am Zielhaus der „Streif“ stimmen sich die Gäste auf die lange Nacht ein, feiern ihre Stars, und am liebsten feiern sie natürlich Österreicher. Der rotweißrote Chauvinismus ist bei keinem Skirennen im alpinen Weltcup größer als bei der Abfahrt in Kitzbühel. Am Samstag hat es etwas gedauert, ehe die Gäste so richtig in Stimmung geraten sind. Das lag zum einen daran, dass die Abfahrt erst nach einer guten halben Stunde richtig spannend wurde. Zum anderen aber auch an der Klientel: In Kitzbühel sind die Zuschauer entweder prominent oder spätestens ein paar Stunden nach dem Rennen alkoholisiert. Die einen kommen wegen des gesellschaftlichen Ereignisses und der VIP-Einladungen nach Tirol, die anderen wegen der Party auf der Straße. Erst als Michael Walchhofer, der letzte der Favoriten, mit Bestzeit im Ziel war, geriet die Menge außer Rand und Band. Walchhofer hatte die Ehre Österreichs gerettet – und die Stimmung ebenfalls.

Die Weltcup-Abfahrt auf der Streif ist das berühmteste und wohl spektakulärste Skirennen der Welt, am Samstag allerdings war sie eines ihrer Prunkstücke beraubt worden, der steilen Mausefalle. Wegen schlechter Sicht und Windböen haben die Verantwortlichen den Start nach unten verlegt. So waren diesmal auf den ersten Sekunden weniger Mut als starke Oberarme gefragt, denn die Skirennläufer mussten kräftig anschieben, um in Fahrt zu kommen. Walchhofer kam dies entgegen, kaum ein Abfahrer im Weltcup gleitet so gefühlvoll wie der groß gewachsene Hotelier aus Zauchensee. Er habe eher bei technisch anspruchsvollen Passagen Schwierigkeiten, gibt er zu, „aufgrund meiner Größe“. Und weil es für gewöhnlich nicht so aufs Gleiten ankommt auf der „Streif“, gehörte Walchhofer eigentlich gar nicht zu den Favoriten. Eher schon der Sieger des Super-G-Rennens vom Freitag, Hermann Maier. Oder der Amerikaner Daron Rahlves, der bereits in Beaver Creek, Bormio und in der vergangenen Woche in Wengen gewonnen hatte und außerdem schon einmal 2003 auf der „Streif“. Vielleicht auch dessen Teamkollege Bode Miller, der zwar noch ohne Erfolg in den schnellen Disziplinen in diesem Winter ist, aber immer für eine Überraschung gut. „Ich glaube“, sagte Walchhofer, „ich habe das Rennen mit meinem Willen gewonnen.“

Der Weltmeister von 2003 war am Samstag die letzte Hoffnung gewesen, das beste Skiteam der Welt vor der Schmach zu bewahren. „Ohne Österreicher auf dem Podest – da hätten wir schön aus der Wäsche geschaut“, sagte Hans Pum, Alpinchef des Österreichischen Skiverbandes. Der beste Abfahrer rotweißroten Mannschaft war bis Walchhofers Fahrt der noch wenig bekannte Andreas Buder auf Rang sieben. Hermann Maier scheiterte auf der Strecke ebenso wie Olympiasieger Fritz Strobl, der sich bei einem Beinahesturz im Zielhang die Mittelhand brach. So führte bis zur Startnummer 30 der Liechtensteiner Marco Büchel – vor Rahlves und Miller. Als Walchhofer im Zielhang ein großer Fehler unterlief, konnte sich Büchel fast schon als Sieger fühlen. „Als ich gesehen habe, dass der Michi vorne ist, war es wie ein Stich ins Herz“, gab Büchel zu.

Sieger Walchhofer ist keine schillernde Figur des Ski-Weltcups, taugt eigentlich nicht gar nicht so zum Heroen. Aber er ist Österreicher und das allein genügt schon, um die Bedürfnisse der Fans zu erfüllen. Eine Last freilich war es nicht für den bodenständigen Familienvater aus dem Salzburger Land, er schien eher überwältigt. Walchhofer schrieb nach seinem Triumph brav Autogramme, posierte immer wieder fürs Fotoalbum und schüttelte permanent Hände. „Ich habe das Jubelbad genossen.“

Auf der Streif hatte einst seine Abfahrtskarriere begonnen. 2001 bestritt der früherer Slalom-Spezialist in Kitzbühel die erste Schussfahrt im Weltcup und wurde auf Anhieb Neunter. „Das war das Ticket in die österreichische Abfahrtsmannschaft. Und seitdem bin ich Abfahrer.“ Er hat sich in den vergangenen Jahren zum beständigsten Schussfahrer seines Teams entwickelt, wurde 2003 Weltmeister, im vergangenen Jahr holte er Silber in Bormio und gewann den Abfahrtsweltcup. Auf der „Streif“ aber war Walchhofer noch nie ganz vorne gelandet. Nun hat er auch diesen Makel in seiner Karriere behoben.