Die Lattenkracherin

Bei einer Moderatorin giltein einziger Versprecher schonals Beleg weiblicher Inkompetenzauf dem Feld des Fußballs

VON MARKUS VÖLKER

Das Interview ist vorbei, Katrin Müller-Hohenstein nicht mehr in Hörweite, da fragt die Pressefrau des ZDF: „Und, was haben Sie für einen Eindruck? Die schafft das, oder?“ Die Sportler des Zweiten Deutschen Fernsehens sind derzeit ein bisschen nervös. Seit zehn Jahren hatten sie keine Frontfrau mehr. Jetzt ist eine neue da. Müller-Hohenstein soll das „Aktuelle Sportstudio“ moderieren. Zum ersten Mal am Samstag zum Rückrundenstart der Fußball-Bundesliga. Es ist ein Posten, der nicht einfach bezogen werden kann, schon gar nicht von einer Frau.

Am Anfang steht so etwas wie eine Gewissens- und Kompetenzprüfung. Hat sie Ahnung von Fußball? Hat sie selber Sport getrieben? Schützt sie Sportinteresse nur vor? Wer ist das überhaupt? Diese Fragen stehen im Raum. Sie werden von mindestens zwanzig Millionen deutschen Fußball-Bundestrainern gestellt, dem Heer der Couch-Experten, das sich überwiegend aus Männern rekrutiert. Sie beanspruchen die Deutungshoheit in Fragen der Leibesübung. Wenn eine neue „Sportstudio“-Moderatorin auftaucht, dann beäugen sie diese so misstrauisch wie die neue Freundin des Sohnes.

„Das ist eine exponierte Position“, sagt Müller-Hohenstein, „mir ist klar, dass es nachher Leute geben wird, die mich ganz furchtbar in die Pfanne hauen werden, aber damit kann ich leben.“ Sie trägt Business-Look: einen anthrazitfarbenen Hosenanzug mit Fischgrätenmuster, eine weiße Bluse mit breitem Kragen. Es ist noch früh am Morgen, der Himmel über Hamburg grau. Der Tag wird anstrengend für sie. Mehr als ein Dutzend Interviews stehen an, ausführliche und kurze. Sie muss sich erklären, ihre Geschichte erzählen. Immer wieder aufs Neue. Sie muss viel Werbung in eigener Sache betreiben und so tun, als ob sie die Pointe zum ersten Mal erzählt. Sie macht das professionell, stellt Nähe her und streut Anekdoten ein. Müller-Hohenstein, 40, ist seit 17 Jahren im Geschäft.

Abgeklärt ist sie auch am vergangenen Samstag aufgetreten, als sie von Johannes B. Kerner im „Sportstudio“ vorgestellt worden ist. Das Publikum hat sehr laut und sehr lang geklatscht. Weil dieses Klatschen noch etwas ungewohnt war, hat Müller-Hohenstein beide Hände vors Gesicht gehalten, kurz nur. Die ZDF-Leute werden ihr hinterher gesagt haben, dass sie diese Geste künftig bitte unterlassen soll.

Dann hat sie die Geschichte von Gerhard Schröder erzählt, der ihr in einem Interview einmal dumm gekommen ist. Sie wollte von Schröder, damals 100 Tage im Amt, wissen, ob er von innen am Tor des Kanzleramtes rüttele und rufe: Ich will hier raus. Der Kanzler fand das nicht lustig. Als Gast in „Wetten, dass …!?“ aber stellte er sich die Frage quasi selbst und wollte sich nicht wieder einkriegen vor Belustigung. Müller-Hohenstein darauf zu Kerner: „Ich hätte am liebsten meinen Fernseher aus dem Fenster geworfen.“ Die Geschichte bringt ihr Sympathiepunkte. Einen Bonus, den sie dringend braucht.

Die Story mit Schröder hat sie der Bild-Zeitung ein paar Tage vorher erzählt, dem Massenblatt, das ein Duell zwischen „Miss Sportstudio“ und „Miss Sportschau“ inszeniert, zwischen Müller-Hohenstein und Monica Lierhaus, die in der ARD mit maschineller Präzision moderiert. „Das ist ziemlich albern“, sagt Müller-Hohenstein. „Ein Herr Steinbrecher würde ja auch nicht neben einem Herrn Delling abgebildet werden.“ Die männlichen Moderatoren würden in Ruhe gelassen – und die Frauen nicht. So ist das Spiel, das in der Sportbranche getrieben wird. Müller-Hohenstein muss sich darauf einlassen, selbst wenn sie die Spielregeln nur widerwillig akzeptiert. „Diese Aufmerksamkeit, die auf meiner Person liegt, halte ich für ein bisschen übertrieben. Es scheint so, als würde ich am 28. Januar 100.000 Arbeitsplätze retten.“ Dabei geht es nur um ihren.

Fünf Moderatorinnen hat das „Sportstudio“ gehabt. Nur fünf in 43 Jahren. Die Männer kennt man: Thoelke, Friedrichs, Valerien, Kürten. Ja, auch Poschmann und Cerne. Die Frauen sind weniger geläufig. An der Spitze steht Carmen Thomas. Sie ist eine Legende, weil sie einmal gepatzt hat und einen Vereinsnamen verhunzte. Es ist die Schalke-05-Geschichte, die als Beleg weiblicher Inkompetenz auf dem Feld des Fußballs gilt, dabei ging dieser Fehler damals in der Sendung unter. Thomas korrigierte sich seinerzeit flugs, sagte, die Zuschauer könnten aus ihrer Ohnmacht wieder erwachen, doch Bild machte aus dem Versprecher ein Riesenvergehen.

Müller-Hohenstein kennt diese Intrige des Boulevards gut, äußern will sie sich dazu nicht. „Traurig“ sei das halt gewesen, aber die Zeiten hätten sich ja geändert – im Vergleich zu den Siebzigern. Das hatte auch Christine Reinhart angenommen, die am 27. Mai 1995 vom Sender ging. Boris Becker hatte sie in einem Interview übel auflaufen lassen. Außerdem hatte sie aus dem VfB Stuttgart VfL Stuttgart gemacht. Und irgendwer hatte gestreut, sie wisse nicht, wer Johan Cruyff sei. Das genügte, um sie als Moderatorin des „Sportstudios“ unmöglich zu machen. Danach sagte sie: „In den Augen vieler blieb ich eine Darstellerin, die eine Sportreporterin spielt.“ Thomas schrieb später Bücher über das Trinken von Eigenurin, Reinhart wurde Schauspielerin.

Katrin Müller-Hohenstein ist Radiomoderatorin. Das ist ihre Passion. Sie schwärmt ausgiebig von ihrem Job bei Antenne Bayern: „Ich bin alleine in einem 25 Quadratmeter großen Raum. Da stehen das Mischpult, ein paar Gerätschaften, und in der Mitte hängt mein Freund, das Mikrofon. Das ist Teil meines Lebens.“ Den geschützten Raum muss sie nun einmal im Monat verlassen und sich einem Millionenpublikum zeigen.

„Präsenz hat man oder nicht. Die kann man nicht lernen“, sagt sie. Mit Dieter Kürten übt sie an ihrem Auftreten. Er sagt ihr, wie sie sich vor der Kamera bewegen muss und dass das Rotlicht kein Alarmsignal ist. Sie muss viel von ihrer Freiheit, die sie sich im Radio erkämpft hat, abgeben. Im „Sportstudio“ ist sie weniger sie selbst. Sie ist Erfüllungsgehilfin und Endverbraucherin von Emotionen, die ihr, auf Tape gebannt, von der Redaktion zugeliefert werden. Darum geht es ihr: um die Präsentation von Gefühlen. „Tolle Tore, strittige Schiedsrichterentscheidungen und 500 Bananen im Torraum von Oliver Kahn – daran erinnert sich der Fußballfan auf dem Nachhauseweg.“ Diese Bilder wolle der Anhänger noch einmal sehen. Infotainment sei ein Begriff, mit dem sie sehr gut leben könne. „Ich würde mich dem Fußball nie von der wissenschaftlichen Seite her nähern.“ Das klingt nicht so, als wolle sie neue Standards setzen.

Das „Sportstudio“ lebt seit Jahren mit allerlei Vorwürfen. Früher war es eine Institution. Heute ist es eine normale Sendung, angekommen im Mainstream der Häppchen-Berichterstattung. Enttäuscht von dieser Entwicklung, schleudern Kritiker dem „Sportstudio“ harsche Worte entgegen. „Der alte Biss ist hin, die Exkultsendung tut nur noch irgendwie ihre Pflicht“, wird geschrieben. Oder: Das Studio sei von Siechtum bedroht; „jedenfalls ist es tief gesunken“. Die Moderatoren seien nur noch Präsentatoren, Freunde der Athleten und bisweilen auch der Sponsoren. Die Kritik ist berechtigt, wenn man sieht, dass Kerner & Co. Dopingdispute meiden und noch nicht einmal, wie am Samstag geschehen, das Wort „Hämoglobin“ unfallfrei aussprechen können.

Gern wird nach kontroversen Themen die Flucht zur Torwand angetreten. Das rituelle „Drei unten, drei oben“ ist Teil einer Fußballkirmes. Hier atmet der Moderator auf, zumal das Ende der Sendung naht. Aber nicht nur an der Torwand lotet der Sportjournalismus Untiefen aus. Man duzt sich wie nirgendwo sonst in den Medien. In der ARD plaudert Waldi mit Wasi, im ZDF Poschi mit Poldi. Wer die Distanz zwischen Gegenstand und Objekt vermessen will, kann das Ergebnis getrost in Millimetern angeben. Müller-Hohenstein will da nicht mitmachen. „Ich würde einen Teufel tun, jemanden in der Öffentlichkeit zu duzen. Duzen grenzt den Zuschauer aus. Ich werde siezen, es sei denn, ich werde geduzt.“

Eine halbstündige Testsendung hat die Neue bereits hinter sich. Sie lief im Herbst des vergangenen Jahres, als die Personalie noch unter die höchste Geheimhaltungsstufe der Strategen vom Mainzer Lerchenberg fiel. Sie hat ein Spiel des Hamburger SV gegen Bayern München präsentiert.

Als Studiogast war Jürgen Klopp geladen, der ihr das Leben nicht schwer gemacht hat, weil Klopp nicht nur Trainer von Mainz 05 ist, sondern auch ZDF-Experte. „Ich habe mich sehr ambivalent gefühlt“, erinnert sich Müller-Hohenstein an ihre heimliche Premiere vor Kameras. „Ich war sehr nervös, und ich weiß letztendlich nicht, warum die mich genommen haben.“

In der Sendung am Samstag wird es wieder Bundesliga-Spiele geben, auch die Auslosung im DFB-Pokal. Ein Bayern-Spieler soll ins Studio kommen. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender wird begutachten, ob diese Frau „ein Lattenkracher“ ist, wie er gefordert hat. „Ein Lattenkracher geht ja nicht rein“, sagt Katrin Müller-Hohenstein, „der ist nicht drin.“ Sie überlegt. „Aber es ist ein schöner Schuss.“