Wenn die Hilfe am Embargo scheitert

Weil er seiner kranken Mutter im Irak 100 Euro zukommen lassen wollte, sah sich Hussein H. gestern einer Anklage wegen Verstoßes gegen das Wirtschaftsembargo ausgesetzt. Das Verfahren wurde zwar eingestellt – gestraft ist der Iraker trotzdem

„Nach gesundem Menschenverstand müsste das nicht sein“, sagt der Richter

Bremen taz ■ Irgendwie wollte es keiner gewesen sein. Als erstes fühlte sich der Richter selbst bemüßigt, seinen Prozess zu rechtfertigen. „Nach gesundem Menschenverstand müsste das nicht sein“, urteilte Hans Ahlers – noch ehe das Verfahren gegen Hussein H. richtig begonnen hatte. Und auch Henning Hermann, der Vertreter der Staatsanwaltsschaft, zuckte nur mit den Schultern. „Ich kann es nicht mehr ändern.“ Ein junger Kollege war‘s, verteidigt sich Hermann. Aber der sei jetzt weg.

„Fahrlässiger Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz“ steht in der Anklageschrift, zu bestrafen mit bis zu drei Jahren Knast. Schließlich hat der Iraker Hussein H. am 14. Mai 2003 – kurz nach Kriegsbeginn – gegen das von der Bundesregierung verhängte Wirtschaftsembargo gegen den Irak verstoßen. Weil er seiner kranken und hungerleidenden Mutter 100 Euro nach Bagdad schickte. Ohne Genehmigung. Eine Woche, bevor das Embargo offiziell aufgehoben wurde.

Sein Problem: Die Hausbank hat H. den humanitären Dienst versagt. Und so bediente sich H. eines Mittelsmannes in Berlin, M., der auch Iraker war. Der Bruder in Jordanien hatte den Mann empfohlen. Doch der verschob im großen Stil illegal Geld in den Irak. Von diesen Machenschaften des M. wiederum hatte H. nach eigenen Angaben keine Ahnung. „Ich habe mich versichert, dass seine Arbeit korrekt ist“, flehte der Angeklagte gestern das Bremer Amtsgericht an.

„Ich möchte nie im Leben gegen ein Gesetz verstoßen.“ Man glaubte ihm sofort. „Eigentlich gehört der andere auf die Anklagebank“, sagte auch der Staatsanwalt. Der andere, schimpfte H. – „er hat mich belogen und betrogen“. Später ermittelte die Berliner Staatsanwaltschaft gegen M., mehrere Hundert Fälle sind aktenkundig.

„Hier geht es um Hilfe“, hob der 40-Jährige Hussein H. gestern an. „Für meine eigene Mutter. Sie ist alt und krank. Sie hat keine Rente. Zu wenig zu essen. Und bekommt keine Hilfe.“

Also hat sich H., der Mechatroniker, der Vater von sechs Kindern, 100 Euro abgespart, um sie seiner Mutter zu schicken. Doch dafür hätte er auf jeden Fall eine staatliche Genehmigung gebraucht. „Die hätte wohl auch bekommen“, glaubt Ahlers, „doch der bürokratische Aufwand wäre sehr groß gewesen.“

H. wusste von all dem nichts, versichert sein Anwalt Olaf Bartel. Mit gutem Grund: Für einen vorsätzlichen Verstoß gegen das Waffenembargo wäre sein Mandant mindestens zwei Jahre ins Gefängnis gewandert.

Zwei Jahre auf Bewährung bekam denn auch ein Geschäftsmann aus Achim, der 2003 vor Gericht stand, weil er 1999 dafür gesorgt hat, dass der Irak Bohrwerkzeuge geliefert bekam. Mit ihnen konnten Artillerie-Geschützrohre produziert werden, die chemische und biologische Kampfstoffe immerhin 56 Kilometer weit tragen. Auch das ein Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz. Der Erlös aus dem Geschäft, 193.000 Euro, wandert an die Staatskasse.

Zahlen muss nun auch Hussein H. – allein sein Anwalt kostet ihn rund 500 Euro, auch wenn das Amtsgericht Bremen gestern sein Verfahren einstellte. „Ich leide sehr unter dem Verfahren“, plädierte H. auf Freispruch in eigener Sache. „Das Verfahren ist eine große Last für meine Familie.“ Das Gericht mühte sich redlich, dem Angeklagten nicht nur den Knast, sondern auch eine drohende Geldstrafe zu ersparen. „Wir müssen jetzt Schadensbegrenzung betreiben“, stimmte auch Hermann zu. Eigentlich wollte er gestern gar nicht über H. zu Gericht sitzen. Und Richter Ahlers findet die ganze Angelegenheit einfach irgendwie „merkwürdig“.

Jan Zier