KONZERT AM KOTTI
: Stück weites Anliegen

Die Band hat mehr so Protestsongs im Repertoire

Am Kottbusser Tor spielt eine kleine Dreierkombo vor dem Protestcamp gegen Wohnungsnot. Ich bremse sicherheitshalber, bleibe auf dem Fahrrad sitzen und gucke. Es guckt nämlich sonst kaum jemand, und da ist es nicht schlecht, wenn wenigstens einer guckt. Ein kleiner dicker Mann mit Mütze und einer breiten Breitkordhose spielt Gitarre und singt. Die Band hat mehr so Protestsongs im Repertoire. „Es gibt viele Sachen, die sind ganz nett, aber ich liege lieber mit meiner Frau im Bett.“ Dann sagt er, dass er „das Anliegen des Protestcamps total wichtig“ findet, denn es würde ein „Stück weit jeden betreffen“. Und ich muss betroffen feststellen, dass sowohl Dolf Sternberger als auch Eckhard Henscheid mit ihrem Anliegen gescheitert sind, das „Anliegen“ und „ein Stück weit“ wenigstens ein Stück weit aus dem Verkehr des öffentlichen Sprechens zu ziehen.

Das Publikum besteht aus vier Leuten vom Protestcamp. Dann einer mit schwarzer Lederjacke, der etwas ungläubig auf die Band starrt. Ein schwarzer Hund. Eine schwarzhaarige Frau im Tigerfellshirt, die den Hund streichelt. Ein Pärchen, das gerade vom Einkaufen kommt. Sie hat eine Tüte mit Klopapierrollen abgestellt, er ein Sixpack. Ein angegrauter Penner mit Plastiktüte und Bierflasche, der stiert. Ein Türke, der nicht sehr freundlich in sein Handy brüllt.

Der kleine, dicke Mann legt sich noch einmal ins Zeug. „Und jetzt machen wir alle Lärm, wie ihn der Kotti noch nie gehört hat“, sagt er mit einem ebenso bewundernswerten wie grenzenlosen Optimismus. Nach dem Finale furioso bedankt er sich beim Publikum. Eine Frau ruft „Zugabe“. Ich glaube, sie ist vom Protestcamp. Das Publikum zerstreut sich. Ich jedenfalls tue das. Beim anderen Publikum bin ich mir nicht sicher. Ich glaube, es ist schon vorher gegangen oder steht eben noch rum, weil es sowieso nichts anderes vor hat, als rumzustehen. KLAUS BITTERMANN