Symbolik der Zeitenwende in La Paz

Ohne Pomp, aber mit viel Pathos wird in Bolivien der Amtsantritt des neuen Präsidenten Evo Morales gefeiert. Der Aymara-Indianer spricht vom Anbruch einer „neuen Epoche für die Urvölker der Welt“ und verspricht trotzdem, bescheiden zu bleiben

AUS LA PAZ GERHARD DILGER

Evo Morales hat es geschafft. Mit Tränen in den Augen, erhobener linker Faust und rechter Hand auf dem Herzen ließ sich der neue Präsident Boliviens am Sonntag die rot-gelb-grüne Amtsschärpe umlegen.

Sein Wahlsieg, eine „kulturelle und demokratische Revolution“, sei auch ein Ergebnis früherer Kämpfe, sagte Morales, und bat um eine Schweigeminute für die „Märtyrer der Befreiung“, darunter den Aymara-Rebellen Túpac Katari und den 1967 in Ostbolivien getöteten Ernesto „Che“ Guevara. Mehr denn je definierte sich der 46-jährige Chef der „Bewegung zum Sozialismus“ als Indígena. „Wir indigenen Völker sind nicht verantwortlich für die Auslandsschulden“, sagte Morales. Die Schulden hätten Bolivien Schaden und Abhängigkeit gebracht und müssten daher erlassen werden.

Tags zuvor hatte er sich in der Ruinenstadt Tiwanaku, unweit des Titicacasees, zur obersten Autorität der Indígenas Boliviens ausrufen lassen. Dort waren 20.000 Menschen zusammengeströmt, viele von ihnen im farbenfrohen Festtagsgewand. „Heute bricht für die Urvölker der Welt eine neue Epoche an“, rief der mit einem roten Poncho ausstaffierte Morales. „Hier enden 500 Jahre Widerstand der indigenen Völker Amerikas gegen den internen Kolonialismus.“

Aus ganz Amerika reisten Vertreter sozialer und indigener Bewegungen an und überreichten ihm Geschenke. „Morales’ Triumph gibt uns enormen Auftrieb“, betonte Luis Macas, der Vorsitzende der ecuadorianischen Indígena-Dachorganisation Conaie. „Er bedeutet einen Sieg der Demokratie und eröffnet die Möglichkeit, dass die Ureinwohner den Wandel vorantreiben.“ Jecinaldo Sateré aus dem brasilianischen Amazonasgebiet hofft, dass sich Morales anders als Brasiliens Staatschef Lula nicht von seiner Basis entfernt.

Evo Morales möchte dieser Gefahr bewusst entgegensteuern: Immer wieder sagte er, er wolle „kontrolliert“ und „angeschoben“ werden und gab ein Zitat des Zapatisten-Chefs Marcos zum Besten: „Ich werde regieren und dabei dem Volk gehorchen.“ Dazu passte auch seine Ankündigung einer „Neugründung“ Boliviens, wegen der die seit Jahren geforderte Verfassunggebende Versammlung ab August 2006 tagen soll.

Zugleich beschwor er die nationale Einheit. Nun sei die Stunde gekommen, die Erniedrigungen, den Hass und die Missachtung der Indígenas zu beenden: „Aber wir Aymaras und Quechuas hegen keinen Groll. Wenn wir gewinnen, ist es nicht, um uns zu rächen“.

Es klang wie eine Antwort auf den Vorwurf des peruanischen Autors Mario Vargas Llosa, der jüngst in einer Polemik gegen die „lebenden Anachronismen“ und „neuen barbarischen Caudillos“ Evo Morales, Hugo Chávez und den peruanischen Präsidentschaftskandidaten Ollanta Humala einen „neuen Rassismus von Indianern gegen Weiße“ ausgemacht haben will.

Die direkte Replik besorgte Eduardo Galeano, der aus Uruguay angereist war: Vargas Llosa hole „einen der Lieblingsmythen der Herren der Macht in Lateinamerika“ aus der Mottenkiste, den Mythos von Zivilisation und Barbarei. In Bolivien komme hingegegen gerade die Vielfalt, der „Regenbogen“, zur Geltung, meinte Galeano, das Gegenteil also von „Rassimus, Elitedenken und Militarismus“.

Auf der Abschlussfeier auf dem „Heldenplatz“ in La Paz war Galeano Gastredner, ebenso wie der kubanische Vizepräsident Carlos Lage und die ecuadorianische Indígena Blanca Chancoso. Hugo Chávez, nach dem Tausende mit Sprechchören verlangten, ließ sich wegen Halsschmerzen entschuldigen.

An der Amtseinführung im Kongress hatten elf Staats- und Regierungschefs teilgenommen, unter ihnen die Präsidenten Argentiniens, Brasiliens, Chiles, Kolumbiens und Venezuelas. Als Zeichen der Entspannung wurde der Besuch des chilenischen Sozialdemokraten Ricardo Lagos gewertet. Bolivien fordert von Chile einen Zugang zum Meer, den es 1883 verloren hatte. Wegen dieses Streits unterhalten die beiden Nachbarländer seit 1978 keine diplomatischen Beziehungen mehr. Morales kündigte an, er werde im März zum Amtsantritt von Michelle Bachelet nach Santiago reisen.

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