„Auch private Kreditgeber müssen verzichten“

WÄHRUNGSKRISE Europa braucht eine koordinierte Wirtschaftspolitik, sagt der Grüne Gerhard Schick

■ 37, ist promovierter Volkswirt und seit 2005 Mitglied des Bundestags. 2007 wurde Schick finanzpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

INTERVIEW TARIK AHMIA

taz: Herr Schick, Finanzhilfen der EU für Griechenland werden immer wahrscheinlicher. Wären die vom Staatsbankrott bedrohten Griechen damit aus dem Schneider?

Gerhard Schick: Nein, drastische Korrekturen sind in Griechenland nötig. Die griechischen Staatseinnahmen müssen steigen und die Ausgaben sozial verträglich sinken. Unmittelbar wird es aber nicht ohne europäische Liquiditätshilfen gehen, so wie es der EU-Vertrag für solche Notfälle vorsieht. Wie bei den Banken muss die EU nun mit einem Nothilfefonds einspringen. Gleichzeitig muss die EU dafür sorgen, dass in Griechenland haushaltspolitisch seriös gearbeitet wird.

Pessimisten befürchten bereits den Zusammenbruch der Eurozone. Kann ein Land mit 11 Millionen Einwohnern den größten Währungsraum der Welt ernsthaft gefährden?

Die Gefahr besteht, dass eine griechische Staatspleite einen Dominoeffekt bei anderen verschuldeten Ländern wie etwa Portugal, Spanien, Italien und Irland auslöst. Irgendwann reichen die Sandsäcke nicht mehr, um die Flut einzudämmen. Im schlimmsten Fall könnte die Währungsunion dann auseinanderbrechen. Der Ausstieg Griechenlands aus der Währungsunion hätte allerdings eine dramatische Wirkung auf den Europäischen Einigungsprozess. Außerdem wäre es für das Land verheerend, wenn es seine Euro-Schulden dann mit einer schwachen Drachme abbezahlen müsste.

Wird Griechenland seine Finanzprobleme durch Ausgabenkürzungen lösen können?

Griechenland nur zum extremen Sparen zu zwingen, wäre kontraproduktiv. Dadurch würde das Land in eine Rezession getrieben, aus der es sich selber nicht mehr befreien könnte. Dann würde die Wirtschaft völlig abgewürgt und das Land seine Schulden gar nicht mehr bezahlen können.

Wie entkommt das Land dann der Schuldenfalle?

Wir erleben jetzt den Testfall, dass wir in der Eurozone längerfristig klare Regeln für ein Entschuldungsverfahren für Staaten brauchen. Diese Regeln gibt es bisher nicht. Ähnlich wie bei einer Privatinsolvenz müsste auch für überschuldete Länder mit einer Mischung aus Umschuldung, Forderungsverzicht der Gläubiger und mehrjährigem Wohlverhalten ein Neuanfang möglich sein. Griechenland braucht eine faire Chance. Auch die privaten Kreditgeber des Landes müssen dabei verzichten.

Rächt es sich jetzt, dass sehr unterschiedliche schwache und starke Volkswirtschaften in direkten Wettbewerb eines einheitlichen Währungsraums geschickt wurden?

Es rächt sich vor allem, dass wir nur eine Währungsunion haben und keine politische Union mit einer wirtschaftspolitischen Steuerung. Wir stehen nun an einem wichtigen Punkt der europäischen Integration: Es wird offensichtlich, dass beides zusammengehört. Eine Währungsunion funktioniert nur, wenn die wirtschaftspolitischen Strategien der Mitgliedstaaten zusammenpassen und es eine gemeinsame Steuerung gibt. Deutschland muss seinen Widerstand gegen so eine Koordinierung aufgeben, mit der man etwa auf Handelsungleichgewichte innerhalb der EU reagieren kann. Wie könnte man solche Ungleichgewichte kompensieren? Analog zur Haushaltskontrolle brauchen wir auch ein Regelwerk für den Umgang mit Ungleichgewichten. Darin müssen Länder mit hohen Handelsdefiziten und -überschüssen verpflichtet werden, Maßnahmen zu ihrem mittelfristigen Abbau zu ergreifen. Sinnvoll wären auch europaweite Ausgleichsmechanismen, die wir schon auf nationaler Ebene haben, wie etwa eine Arbeitslosenversicherung.