Herrlich fies und bärtig

METAL Kadavar lassen mit ihrem Sound die 70er Jahre wiederauferstehen und sind damit verblüffend erfolgreich. Das liegt an der aktuellen Retro-Rock-Welle, aber auch an der Spielfreude und Stilsicherheit der drei Berliner

Das Songwriting überzeugt selbst Leute, die bei Metal noch „igitt“ denken

VON JENS UTHOFF

Die Details stimmen: das lange, wallende Haar. Die krausen Bärte. Wildlederwesten mit Fransen. „Ein stimmiges Gesamtbild ist schon wichtig“, sagt Christoph Bartelt, „es ist gut, wenn das Auge auch das sieht, was das Ohr hört.“ Und das Ohr hört: Wüstenrock. Stonerrock. Psychedelic Rock. Vor allem eine ordentliche Portion Metal.

Die Band, die derart nach 70ern aussieht und auch so klingt, heißt Kadavar. Hinter Kadavar verbergen sich neben Schlagzeuger „Tiger“ Bartelt noch Sänger und Gitarrist Christoph „Lupus“ Lindemann und Bassist Simon Bouteloup, allesamt Ende zwanzig und in Berlin beheimatet.

Kürzlich haben sie ihr zweites Album, „Abra Kadavar“, veröffentlicht und huldigen mit ihren Klängen einer Ära, in der Männer wie Walrosse aussahen und wo viel Hair noch angesagt war. Erstaunlich an Kadavar ist der Erfolg, den sie mit ihrer Melange aus fast sämtlichen Spielarten des Rock haben. Von ihrem Debüt, das zunächst nur auf Vinyl erschien, verkauften sie 2012 bereits mehr als 10.000 Stück – die wenigsten Bands verkaufen noch so viele Schallplatten. Das neue Album erscheint auf dem Label Nuclear Blast, so etwas wie das Metal-Label schlechthin, das etwa Sepultura unter Vertrag hat. Die Clubshows von Kadavar sind meist ausverkauft. „Die drei werden Stars, vermutlich im Ausland zuerst“, mutmaßte man jüngst bei Spiegel Online.

Das mag etwas hoch gegriffen sein, in Szenekreisen aber sind Kadavar bereits groß. Und der Erfolg ist gar nicht schwer zu erklären. Zum einen wird Metal und Artverwandtes zurzeit wieder entdeckt und salonfähig, gar feuilletonkompatibel – einer Band wie Kadavar, die intelligente Songs komponiert, kommt das entgegen. „Retro-Rock ist definitiv wieder angesagt“, erklärt Bartelt. Vor allem aber merkt man den drei Herren eine ungemeine Spielfreude an: die Lust an der Ausschweifung und der Spaß an allen Wendungen, die ein Metal- oder Rock-Song nehmen kann. Schließlich: Nicht nur das Aussehen, auch der Sound, für den ebenfalls Drummer und Toningenieur Bartelt verantwortlich ist, stimmt bis ins letzte Detail.

So beginnt „Abra Kadavar“ mit einem maximal verzerrten Gitarrenlauf und einem wummernden Bass, ehe ein fieser, hoher, glasklarer Gesang einsetzt, der einfach sämtliche Kitschgrenzen negiert. Nach wenigen Minuten möchte man mitgrölen: „Hello Darkness my old friend / I won’t talk to you again“. Es folgen viele klassische Rock-Riffs, wie sie T. Rex auch in der Glam-Rock-Ära oder Black Sabbath hätte verwenden können, dann aber auch wieder sehr zeitgemäße doomige Klänge. Kadavar spielen die Tonfolgen mit Präzision, den Gain-Regler immer ganz nach rechts gedreht. „Rhythm for endless minds“ ist dann gegen Ende des gut 40-minütigen Albums ein psychedelischer Track, der zeigt, dass sie die Stärken jeglicher Spielart des Rock auszuspielen wissen. Dazu haben sie noch hittaugliches Songwriting. Damit könnten sie auch Leute überzeugen, die bei Metal immer noch „igitt“ denken.

Die Band existiert seit nunmehr drei Jahren. Lindemann und Bartelt, die seit sieben Jahren in Berlin leben, waren von Beginn an dabei. Bassist Bouteloup ist erst vor wenigen Wochen dazugestoßen, nachdem Philipp Lippitz die Band verließ. Schaut man sie sich aktuell so an, könnte man denken, der Erfolg mit Retro-Rock und -Style sei Kalkül gewesen. „Nein, ich lehne das ab, aus der Motivation heraus Musik zu machen, damit erfolgreich zu sein“, sagt Bartelt, der auch in der Noisecore-Band Noem lärmt. „Als wir uns gründeten, haben wir gedacht, niemand würde sich dafür interessieren.“

Die Wahlheimat der drei Jungs ist dabei bisher nicht gerade als Metal- oder Rock-Hochburg bekannt. „Ich glaube, hier ist für jede Musikrichtung eine Nische da“, sagt Bartelt. Diese Nische könnten Kadavar schon bald verlassen – so lange aber zählen sie zum Besten, was man in Berlin derzeit so findet, wenn man in den Nischen wühlt.

■ Kadavar „Abra Kadavar“ (Nuclear Blast Rec./Warner)