Ritueller Streit

KUNSTBIENNALE 2013 Gabriele Basilicos Fotografien der 30 Nationenpavillons in den Giardini von Venedig

Relikte eines überlebten Nationalismus oder Puppenstube der Globalisierung? Alle zwei Jahre entbrennt in Venedig eine Diskussion über die Pavillons. Für die einen sind die seltsamen Gebäude in den Giardini ein Ärgernis, für die anderen das unverzichtbare Markenzeichen der ältesten Biennale der Welt.

Diesen rituellen Streit entscheiden will der Fotoband „Common Pavilions“ nicht, der ein Projekt der Schweizer Architekten Diener & Diener für die Architekturbiennale im letzten Jahr dokumentiert. Auch wenn sich das Bildmaterial wie ein Plädoyer für die Pavillons lesen ließe. So würdevoll, fast überzeitlich wirken die Aufnahmen, mit denen Gabriele Basilico alle 30 ins Bild gerückt hat.

Die charakteristische Mischung aus metaphysischer Spannung und nüchterner Objektivität, mit denen der 1944 in Mailand geborene und zu Jahresbeginn gestorbene „Stadtfotograf“ aus Mailand bekannt wurde, findet sich auch auf diesen Aufnahmen. Sie ruft aber auch ins Bewusstsein zurück, was im Biennale-Trubel oft übersehen wird: die Architektur der Pavillons selbst. Das Foto der neobyzantinischen Fassade des griechischen Pavillons von 1934 etwa evoziert automatisch die Frage nach der Idee hinter dem Bauwerk.

Wie wenig im Umgang mit den Pavillons Stereotype taugen, zeigen die 30 Essays, die Kunsthistoriker, Schriftsteller und Künstler zu „ihren“ Heimatpavillons beigesteuert haben. Paradebeispiel für das ideologische Schwanken zwischen Nationalismus und Internationalismus an der Lagune ist der belgische Pavillon. Der Kunsttheoretiker Bart Verschaffel zeichnet die verschiedenen Renovierungen des 1907 als erstem Pavillon errichteten Hauses nach: von einem Art-Nouveau-Tempel für die Kunst über einen für die Nation bis zum neutralen White Cube von heute. Aus dem ideologischen Dilemma „Nationalpavillons“ entlässt der Band seine Leser allerdings nicht. Er kann es mit dem polnischen Kurator Adam Szymczyk halten, für den sie nur noch taugen, um sie „mit polemischem Inhalt zu füllen“. Oder sie, wie die serbische Architektin Milica Topalovic, für ein lohnendes „Instrument zur Auseinandersetzung mit Konzepten von Identität“ halten.

„Common Ground“ – mit dem Titel der Architekturbiennale wollte Kurator David Chipperfield der Welt demonstrieren, dass sein Berufsstand mehr ist als ein Haufen von Egomanen, die nur sich selbst ein Denkmal setzen wollen. Diener & Dieners und Basilicos eindrucksvolle Bestandaufnahme erinnert an noch eine schöne Nebenwirkung ihrer Hinterlassenschaften in den Giardini. Auch wenn so manche Architektur nationalen Geist atmet. Immerhin gibt dieser surreale Weltpark den „common ground“ für eine gemeinschaftsbildende Anstrengung ab: den Diskurs über Kunst. INGO AREND

■ „The Common Pavilions in the Giardini of the Venice Biennale in Essays and Photographs“. Herausgegeben von Diener & Diener Architekten mit Gabriele Basilico (Foto). Scheidegger & Spiess, Zürich 2013, 288 Seiten mit 67 Duplex-Abbildungen und 60 Plänen, 58 Euro