Zweifler haben keine Chance

Bremer SchülerInnen wollen Politiker festnageln: Sie sollen die „Nichtdiskriminierungs-Agenda“ unterschreiben, dann wird die Bürgerschaft ein „Parlament ohne Rassismus“. Bisher ist noch kein gewählter Volksvertreter ausgeschert

Bremen taz ■ „Wo kann ich hier unterschreiben?“ Jens Böhrnsen kommt extra noch mal aus der Bürgerschaft heraus. Schon ist er mit Namenslisten und gezückten Stiften eingekreist. Ein Mädchen stellt ihren Rücken als Schreibunterlage zur Verfügung. „Der Rücken ist gut, bloß der Stift taugt nichts“, scherzen die Jugendlichen mit dem Bürgermeister, bis der Namenszug sitzt. „Schöne Aktion“, lobt er noch und rauscht weiter.

Die SchülerInnen der Schulzentren Pestalozzistraße, Walle – Lange Reihe und der Gesamtschule Mitte rennen mit ihrer Aktion in der Bürgerschaft viele offene Türen ein. Sie wollen siebzig Prozent der Abgeordneten dazu bringen, ihre „Nichtdiskriminierungsagenda“ zu unterschreiben. Die ist unschwer konsensfähig: Die Abgeordneten verpflichten sich zum Einsatz für Antidiskriminierungsprojekte, zum Einschreiten bei Gewalttaten und dazu, sich für einen „Tag der Jugend“ in der Bürgerschaft stark zu machen. „Wir haben vorher schon die Fraktionen angeschrieben, uns bei den Vorsitzenden persönlich vorgestellt“, berichtet Lea Schwagereit (15).

Hat sich schon jemand geweigert zu unterschreiben? Die SchülerInnen schütteln die Köpfe. Zögern – ja, vereinzelt, angesichts der Selbstverpflichtung. Jedenfalls wollen die Schüler hartnäckig bleiben und die Zweifler heute und morgen weiter bearbeiten. Wenn siebzig Prozent der Abgeordneten unterschrieben haben, verleiht der Berliner Verein „Aktion Courage“ den Titel „Parlament ohne Rassismus“. Bei Redaktionsschluss hatte immerhin mehr als die Hälfte von 83 Abgeordneten unterschrieben.

„Die Idee kam von den Schülern selbst“, berichtet Herbert Wulfekuhl, Leiter der Landeszentrale für politische Bildung, die die Aktion koordiniert. So wie Schulen das Prädikat „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ erwerben können, so sollten es auch ganze Städte können. „Damit die Schulen keine rassismusfreien Nischen bleiben“, erklären die SchülerInnen.

Viel mehr als eine AG sei die Arbeit an dem Projekt gewesen: außerhalb der Unterrichtszeit und sogar schon mal am Samstagmorgen. „Ich habe schwarze Freunde“, erklärt Nadine Brase ihre Motivation – und die müssen sich oft genug Beleidigungen anhören. Jonas Lang ärgert sich über den diskriminierenden Sprachgebrauch auf dem Schulhof. „Leute benutzen Wörter wie ‚schwul‘ oder ‚behindert‘ als Schimpfwörter“, beobachtet er täglich. Von der Aktion erhoffen sie sich ein Druckmittel auf die Politiker: „Wenn sie nicht nach der Agenda handeln, kann man sie auf das ansprechen, wozu sie sich verpflichtet haben“, erläutert Lea Schwagereit. Nadine Brase ergänzt: „Im Notfall veröffentlichen wir die Unterschriften.“

Herbert Wulfekuhl wünscht sich noch etwas anderes von der Aktion: „Die Jugendlichen, die sich heute in ihren Schulen engagieren, sind die Aktiven der Zukunft.“ Wer schon einmal das Bürgerschaftsgebäude von innen gesehen, eine Beschlussvorlage formuliert, mit Abgeordneten Kontakt aufgenommen hat, der sei später vielleicht für ein parteipolitisches Engagement zu gewinnen. „Wir wollen die Politik entzaubern – im positiven Sinn“, sagt Wulfekuhl: Hemmschwellen abbauen, Neugier erhalten.