„Merkel ist sehr vorsichtig“

EUROPA Die irische Journalistin Judy Dempsey hat das Phänomen Angela Merkel ergründet

■ 57, Korrespondentin in Berlin, vor allem für Carnegie-Stiftung und International Herald Tribune. Foto: Barbara Dietl

taz: Frau Dempsey, warum vertrauen die Deutschen Angela Merkel?

Judy Dempsey: Merkel gilt als zuverlässig. Sie geht außer bei der Energiewende kein großes Risiko für die Deutschen ein. Merkel ist nicht arrogant. Die Deutschen sind stolz auf Merkel. Sie verteidigt die deutschen Interessen und besonders das deutsche Sparbuch.

Sie selbst werfen ihr vor, sie habe kaum Ziele und vor allem außenpolitisch keine Strategie. Ein Problem der politischen Klasse insgesamt?

Die politischen Eliten jammern viel, sie wollen kein Risiko übernehmen. Sie haben nicht für eine europäische Sicherheitsstrategie gekämpft, sondern ihren Kopf in den Sand gesteckt gegenüber den Herausforderungen, denen sich Europa und Deutschland in Zukunft stellen müssen.

Die Deutschen haben moralische Bedenken, militärische Mittel einzusetzen.

Ja, aber die rot-grüne Regierung hat dieses Denken verändert, etwa mit dem Nato-Krieg im Kosovo gegen Milosevic. Natürlich ist die Vergangenheit wichtig für die deutsche Weltanschauung. Aber die Deutschen haben auch Verantwortung für Europas Sicherheit. Gegenüber ihren östlichen und südlichen Nachbarn haben Deutschland und Europa keine langfristige Strategie. Länder wie Georgien oder Mali sind nicht weit weg.

Sie bescheinigen Frau Merkel, dass sie die Dinge vom Ende her denke. Ein Widerspruch zur Aussage, sie lasse sich treiben?

Merkel hat die Realpolitik entdeckt. Das ist eine besondere Balance zwischen Werten, Interessen und Macht. Merkel ist sehr vorsichtig. Sie will keine Experimente machen. Das ist Merkels Stil und die Deutschen akzeptieren diesen Stil. Das ist nicht am besten für Deutschland. Aus europäischer Sicht brauchen wir aber eine starke Stimme Deutschlands zu Europas strategischer Zukunft.

Kann sich Deutschland diese starke Stimme leisten?

Mit anderen Partnern zusammen: ja. Der nächste Kanzler muss wissen, dass Europas Sicherheit, Ruf und Glaubwürdigkeit abhängig sind von einer langfristigen Strategie und einer Vorstellung über unseren Platz in der Welt. Wir brauchen eine Debatte und einen deutschen Input, insbesondere zu einem neuen transatlantischen Bündnis. Das alte Bündnis ist vorbei. INTERVIEW: KNÖ

Buchpremiere „Das Phänomen Merkel“: 19 Uhr, Körber-Forum, Kehrwieder 12. Die taz.nord verlost 5 x 2 Freikarten: Anrufen ab 11 Uhr unter ☎ 38 90 17-458