Die Klötzchenfilmer

SELBST GEMACHT „Brickfilmer“ nennt sich eine kleine Gemeinde von Hobby-Filmern, die ihre Werke mit Legosteinen und figuren dreht. Die Bühne für den Brickfilm ist vor allem das Internet. Es gibt aber auch Festivals wie die „Steinerei“, die demnächst in Bremen stattfindet

VON WILFRIED HIPPEN

Als Kamera reicht die Webcam, für den Schnitt und die Vertonung reicht die Software, die zur Standardausrüstung normaler Computer gehört. Mehr Technik braucht man nicht, um einen Brickfilm zu produzieren. Am teuersten sind noch die Steine.

Der minimalistische Ansatz macht dabei den Reiz aus: Im Idealfall besteht jedes gezeigte Element des Films aus Bausteinen und Plastikfiguren, die meist von der Firma Lego produziert wurden. Manchmal gibt es auch ein Plastikfolienmeer wie bei der Augsburger Puppenkiste oder ein Feuer aus roten Papierschnipseln, aber die Kulissen und die Protagonisten kommen direkt aus der Spielkiste.

Diese werden dann in der Stop-Motion-Technik animiert. Dabei werden zwölf Bilder pro Sekunde aufgenommen, in denen jede Bewegung in winzigen Schritten weitergeführt wird. Bei 720 Aufnahmen pro Filmminute und der gängigen Länge eines Brickfilms zwischen fünf und sieben Minuten kommt viel analoge Bastelarbeit zusammen.

„Durch diese Einschränkungen ist man dazu gezwungen, sich auf die Story und den Bildaufbau zu konzentrieren“, erklärt Mirko Horstmann, der das diesjährige, inzwischen neunte, Brickfilmfestival in der Bremer Schauburg organisiert. Der in Bremen lebende Informatiker gilt als das große Talent der deutschen Brickfilmszene.

Dreimal nacheinander hat er bei vorherigen Brickfilmfestivals die Wettbewerbe gewonnen, so etwa mit seiner sehr komischen Neuinterpretation des Märchens „Vom Fischer und seiner Frau“, bei der die gierige Gattin unbedingt Bundeskanzlerin werden will. Oder mit dem Brickfilm „Remake“, in dem die Teile eines alten Zorrofilms einem Zuschauer aus dem Kino folgen und ihm bei seinem eigenen Abenteuer eine Brücke bauen.

Horstmanns insgesamt fünf Werke kann man im Internet unter mirkokosmos.net sehen. Auch sonst ist das Internet der natürliche Lebensraum der Brickfilmer, die sich dort in Foren und Videoportalen gegenseitig ihre Filme zeigen und Tipps geben. Einmal im Jahr schauen sie sich ihre Arbeiten auch auf einer großen Leinwand an und lassen eine dreiköpfige Jury den besten deutschen Brickfilm des Jahres auswählen.

Dieses Brickfilmfestival heißt „Steinerei“ und war in seiner ersten Ausgabe noch eine eher akademische Angelegenheit: Das Festival wurde 2005 in Gießen von Mathias Mertens und seinen Studenten des Gießener Zentrums für Medien und Interaktivität erfunden. Damals war der Brickfilm „Die Helden von Bern“ auch außerhalb der Szene bekannt geworden: In ihm wird das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft 1954 synchron zum legendären Radiokommentar von Herbert Zimmermann in Lego nachinszeniert.

Die allerersten Brickfilme wurden in den 1980er-Jahren noch mit 16-mm-Kameras gedreht, aber erst die digitalen Produktionsmittel machten die Arbeitsweise so einfach und billig, dass sich eine internationale Gemeinde von Klötzchenfilmern entwickeln konnte.

Ein früher und wegen seiner minimalistischen Reinheit immer noch unerreichter Höhepunkt des Genres ist Michel Gondrys Musikvideo zum Song „Fell in Love with a Girl“ von den White Stripes: Darin wurde radikal erkundet, wie grob das Raster der Steine angelegt sein kann, damit man gerade noch eine Stimmung, ein Raumgefühl oder ein Bild vermitteln kann. Auch Mirko Horstmann stellte sich mit seinem ersten Film „Greedy Bricks“ dieser Herausforderung, als er an einem internationalen Wettbewerb teilnahm, bei dem nur zehn Bauelemente für den Film verwendet werden durften.

Die Filmemacher des diesjährigen Wettbewerbs gehen allerdings meist eher in die andere Richtung, indem sie so aufwändig und perfekt wie nur möglich animieren. Einige scheinen professionelle Sprecher eingesetzt zu haben und zumindest bei einer Produktion wird im Abspann an- oder besser zugegeben, dass darin auch Computer Generated Imagery, also gänzlich digitale Animationstechniken verwendet wurden.

Diese ausgefeilt produzierten Brickfilme laufen Gefahr, den Charme des Kantigen und Unfertigen zu verlieren, der den eigentlichen Witz dieser Filmtechnik ausmacht. Zu professionell dürfen Brickfilme nicht wirken, und diese Gefahr scheinen einige der Hobby-Animatoren bei ihrer Bastelarbeit aus den Augen verloren zu haben.

Erstaunlich ist die Bandbreite der Geschichten, die in den 13 Wettbewerbsfilmen erzählt werden. So sind etwa in „Der Tag der Sonne“ die Nordkoreaner so empört darüber, wie ihr großer Führer im Internet lächerlich gemacht wird, dass sie in einem nuklearen Erstschlag New York vernichten. In „Meier“ wird der Sensationsreporter des Boulevardblattes Brick von Außerirdischen entführt, doch seine Abenteuer sind so fantastisch, dass seine Leserschaft sie nicht glaubt. Und in „Der Knusperverstärker“ führt ein genialer Erfinder im Patentamt seinen „Zeitschleifeninitiator“ vor und löst dadurch eines der in der Science-Fiction so beliebten Weltuntergangs-Szenarien aus. Was noch fehlt, wäre ein Klotzvideo zu dem Song „Thick as a Brick“ von Jethro Tull.

Brickfilmfestival „Steinerei 2013“: 8. Juni, 14 Uhr, Schauburg, Bremen