Reden war keine Option

Vor dem Landgericht Stade muss sich derzeit eine 55-Jährige wegen Bankraubs verantworten: Die Frau kapitulierte vor dem wachsenden Schuldenberg und hatte Angst vor ihrem Ehemann, der sich nicht um die Finanzen scherte

Tilgungsraten für Hypotheken, Pflegekosten für Schwiegereltern und nicht zuletzt das Geld, was die eigene Pferdezucht Monat für Monat verschlang: Zusammengenommen überstiegen die Ausgaben längst die vorhandenen Mittel. Doch Inge K. schloss wie so oft vor Problemen die Augen, ließ Zahlungsaufforderungen heimlich in einem Winkel des Hauses verschwinden. „Läuft schon“, behauptete sie, wenn sich ihr Mann ab und an zu fragen bequemte, wie’s finanziell denn so stünde. In Wirklichkeit war die Familie aus Osterladekop (Altes Land) bis über beide Ohren verschuldet.

Was sind die Hintergründe der Tat, die diese Woche vor der Strafkammer des Landgerichts Stade verhandelt wurde? Zum Verhandlungsauftakt am Montag erscheint die 55-Jährige Inge K. in grauem Pullover, Wollhose und flachen Schuhen – dem Augenschein nach eine biedere Hausfrau. In der Hand knüllt sie ein Papiertaschentuch, ihre Augen begegnen hilfesuchend den Blicken des Richters. Dass so jemand einen Bankraub begeht, will den Beteiligten im Gerichtssaal nicht so recht in den Kopf.

Doch Frau K. hat das Unglaubliche gleich zweimal versucht, zum ersten Mal am Abend des 5. August 2003 in einer Sparkassen-Niederlassung in Jork-Leeswig: Die Bankkauffrauen Yvonne R. und Sonja G. verrammeln gerade die Pforten, als sie von der Beschuldigten zurück in den Schalterraum gedrängt werden. Bewaffnet mit Fleischermesser und Schreckschusspistole lässt sie den Tresor öffnen und sperrt die Angestellten später in eine Kundentoilette. An diesem Tag erbeutet K. knapp 40.000 Euro. Zuhause bleibt alles beim Alten: Das geraubte Geld geht im Handumdrehen zur Neige, neue Rechnungen laufen auf.

Zum Überfall auf die Sparkasse Leeswig wäre es vermutlich gar nicht gekommen – hätte sich der Rest der Familie einen Deut für den Haushalt interessiert. Warum schlug K. nicht beizeiten Alarm? „Ich glaube“, antwortet die Frau vor Gericht, „ ich hatte Angst vor Theater“. Ihr Mann sei ja recht impulsiv, „aufbrausend“ halt. Der Richter hakt nach: „Nur mit Worten? Oder auch in handgreiflichem Sinn?“ Die Angeklagte verneint. Ab und zu ein paar laute Worte – das schon – aber mehr sei zu keinem Zeitpunkt geschehen. Was ebenfalls nie vorkam, in 34-jähriger Ehe: Ein vertrauensvolles Gespräch unter vier Augen. „Ich hab immer alles in mich hineingefressen“, versucht Inge K. zu erklären. „Anders hab ich das nie gelernt.“

So erfuhr Frau K.s Mann Rolf erst im Nachhinein von Ängsten, von Nöten – und vom Doppelleben der eigenen Gattin: Am 21. Oktober 2005 fuhr mittags die Polizei auf den Hof. Kaum eine Stunde zuvor war die Angeklagte in eine Sparkasse in Buxtehude-Neukloster gestürmt. „Geld her für meine Kinder!“ Doch der zweite Banküberfall misslang: Ein beherzter Filialleiter setzte die Frau vor die Tür und notierte die Autonummer eines an der Straße geparkten Mercedes. Die Familienkutsche der K.s.

In Untersuchungshaft ließ sich Inge K. therapieren. Inzwischen könne sie „viel besser reden“, mit ihrem Mann und den beiden erwachsenen Söhnen. Vom Großteil der eigenen Pferde hat sich die Familie in den letzten Wochen getrennt, „reinen Tisch machen“ lautet nun die Devise. Für den Verhandlungsausgang sind solche Bekundungen nicht von Belang. Was sich zu Gunsten der K. niederschlägt, ist allenfalls das Ergebnis der vom Verteidiger beantragten psychologischen Untersuchung. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft bestehen allerdings keinerlei Zweifel an der Schuldfähigkeit der Beklagten. Kai Koppe