Die Befreiung des Schweigens

Zerbrochene Wörter, heitere Stille: Die Kommunale Galerie in der Villa Oppenheim stellt das Spätwerk des Malers Max Wechsler vor. Seine Geschichte, die in Berlin begann, scheint in seinen fast monochromen Bildern komprimiert

Max Wechsler malt mit bedrucktem Papier. Mit gedruckten Buchstaben, um genau zu sein. „Endlich sind die Wörter zerbrochen“, sagt er, und man möchte dieser Aussage einen tieferen, biografischen Sinn zuschreiben. Wobei es nicht weniger schwer wiegt, dass ausgerechnet die französische Tageszeitung Libération den Ausgangspunkt für sein erstes „Papier mouflé“, sein erstes „Verleimtes Papier“ bildete. Anfang der 80er-Jahre hat Max Wechsler zu dem Verfahren gefunden, das den abstrakten, monochrom changierenden Bildern zugrunde liegt, die er jetzt in der Villa Oppenheim zeigt. Dort findet Max Wechslers erste Einzelausstellung in Berlin statt.

Sie ist eine späte Genugtuung, denn hier wurde der Maler 1925 geboren. Seine Großmutter mütterlicherseits hieß Oppenheim. Zwar war sie nicht mit der Mendelsohn-Oppenheim’schen Familie verwandt, die sich jene Villa in Charlottenburg als Sommersitz bauen ließ, die nun – frisch renoviert – Kommunale Galerie mit einem ambitionierten Ausstellungsprofil ist. Doch eben jüdischer Abstammung, konnte Max Wechsler nicht in Berlin bleiben. 1939 setzten die Eltern den Dreizehnjährigen in den Zug nach Paris. Dank der Résistance überlebte er in Frankreich den Krieg. Seine Familie wurde ermordet.

Das Exil beraubte das Kind der Sprache, während die Wörter es bedrohlich umstellten. Die französischen, weil sie Max Wechsler nicht kannte, die deutschen, weil sie auszusprechen nutzlos, wenn nicht sogar gefährlich war. Er hätte die Wörter wohl schon damals gerne „zerbrochen“. Das Schweigen, in dem er seinerzeit gefangen war, findet sich in seinen „Papiers mouflé“ wieder. Freilich nicht mehr als das lastende und beunruhigende Schweigen, das es zu jener Zeit gewesen sein muss. Es erscheint als ein gelassenes, ein befreites Schweigen. Paradoxerweise ist sein Material der lautbildende Buchstabe. Er scheint Max Wechsler das Spiel nicht übel zu nehmen, das dieser mit ihm treibt, wenn er ihn aufbläst und vergrößert oder miniaturisiert, ihn verdoppelt, verdreifacht oder zerteilt. Denn man meint, die Buchstaben in Wechslers Bildern schwiegen weniger, als dass sie eine heitere Stille bewahrten. Aus etwas Schwerem ist etwas Leichtes geworden, dem freilich die Melancholie des Ursprungs anhaftet.

Als Max Wechsler nach dem Krieg dank seiner Künstlerfreunde selbst zur Kunst kam, malte er große Formate, die er mit vielen kleinen, surrealistisch anmutenden Formen und Figuren wie Vögeln, Uhren oder einem Esel füllte. Im Rückblick erkennt er in diesen Bildern, die 1969 in einer große Einzelausstellung im Musée d’art modern de la ville de Paris gezeigt wurden, schon seinen Wunsch nach Struktur, Rhythmus und abstrahierten Zeichen. Obwohl ihm zu der Zeit die Türen zu einer Karriere weit offen standen, war er unzufrieden. „Ich landete immer an der gleichen Stelle, um festzustellen, dass ich machte, was die anderen machen.“ Heute ist diese Beunruhigung verschwunden: „Wenn jemand meine Arbeiten gesehen hat und sieht sie an einem anderen Ort wieder, dann kann er sich erinnern, dass sie von diesem bestimmten Künstler sind, dessen Namen er gar nicht wissen muss“, sagt der agile Achtzigjährige, dem man dieses Alter keinesfalls zutraut, „er erkennt mich trotzdem wieder.“

Erst 1983 brach Max Wechsler ganz mit der Malerei. Er entsorgte die Farben, Pinsel und Spachtel und besorgte sich stattdessen Zeitungen, aus möglichst schlechtem Papier wie Libération. Nur dieses Papier ergab das gewünschte dunkle Monochrom aus Schwarz und Gelb, wenn er die Fetzen auf Leinwand oder Holz zusammenleimte. Der Fotokopierer erlaubte ihm die vorgefundenen Buchstaben zu verzerren, zu vergrößern oder zu verkleinern, um sie danach zu zerreißen. Inzwischen zeichnet er die Buchstaben auch selbst. Dabei erprobt er Struktur und Rhythmus ihrer Abfolge zunächst auf einem kleinen Blatt, im Modell, bevor er sie in die großen Formate transponiert, die inzwischen eine ganze Palette von Tonabstufungen von fast Weiß bis fast Schwarz zeigen. Dabei strebt Max Wechsler mit seinen „Papiers mouflé“ danach, „eine Fläche zu erhalten, die ein bestimmtes Licht wirft“. Liegt in diesem Licht der Grund der gelassenen Aufmerksamkeit, mit der man seinem verleimten Papier unwillkürlich begegnet?

BRIGITTE WERNEBURG

Max Wechsler: „Unter der Oberfläche“. Bis 5. März, Villa Oppenheim, Schlossstr. 55, Di.–Fr. 10–17, So. 11–17 Uhr