Die Vielfalt des schon Fertigen

RECYCLING Die Bremer Bauteilbörse bietet wiederverwendbare Teile für fast jeden Bedarf – und in verschiedensten Designs. Derzeit macht das Geschäftsmodell bundesweit Schule

VON HENNING BLEYL

Türen, so weit das Auge reicht. 500 seien es, sagt Andrea Weiss, die bei der Bremer Bauteilbörse arbeitet. Große, grüne, verglaste – auch eine dick mit Metall beschlagene „Rittertür“ ist dabei. Auf 750 Quadratmetern bietet die Börse Gebrauchtes vom Glasklinker bis zur Vollholztreppe an, alles aufgetürmt und hochgestapelt in einer alten Halle draußen am Bremer Industriehafen. Wer sich den Börsenbeständen lieber über das Internet nähert, findet derzeit insgesamt 1.237 Artikelnummern – hinter denen sich eines oder bis zu zehn baugleiche Teile verbergen.

Bremens 2003 gegründete Bauteilbörse ist die bundesweit älteste und die einzige mit „echten“ Arbeitsplätzen statt Ein-Euro-Jobs. Weiss hat vier feste KollegInnen, die überall in Bremen zum Ausbau anrücken, wenn Häuser entkernt oder abgerissen werden. Kommt dabei nicht auch manch Laden- beziehungsweise Lagerhüter ins Haus? „Wenige“, sagt Weiss’ Kollege Gunther Brouwer. Die durchschnittliche Verweildauer liege bei sechs Monaten. Ein ortsfestes Schätzchen fällt Brouwer dann doch ein: Ein großformatiges, bleiverglastes Fenster, auf dem in der Mitte ausgerechnet ein Jesulein prangt. Bauteilbörsenkunden scheinen sich eher atheistisch zu orientieren.

In ganz Deutschland existieren derzeit erst sieben Bauteilbörsen, darunter eine in Oldenburg. Weitere 15 Initiativen stehen noch in den Startlöchern. Das Bremer Beispiel ermutigt: Von 2008 auf 2009 gab es eine Umsatzsteigerung von siebeneinhalb Prozent. Nicht so viel wie in den Vorjahren, trotzdem ist die Wiederverwendung offenbar ein vergleichsweise krisenfestes Geschäft. Zudem profitiert sie von der aktuellen Energieeinsparverordnung (EnEV). Ihr fallen zahlreiche noch ziemlich neue Fenster zum Opfer, die den Weg zur Börse finden. Weiss ist von der EnEV trotzdem genervt: „Bei der Bilanzierung fällt die ,graue Energie‘ unter den Tisch“, betont die Architektin. Der Aufwand der Neufertigung werde schlicht nicht berechnet.

Der Blick über den betriebswirtschaftlichen Tellerrand ist Teil der Börsen-Philosophie. Sie wird auch von einigen Kunden geteilt: Rolf Danneberg zum Beispiel, ein Zimmermann, nimmt Mehraufwand in Kauf, um die nicht mehr gebrauchten Bauteile in den Häusern seiner Kunden fachgerecht auszubauen. „Wenn wir die Fenster oder Vertäfelungen einfach zertrümmern würden, ginge das schneller“, sagt Danneberg, der gerade eine ganze Treppe vorbeigebracht hat. Andererseits spare er durch das Abliefern bei der Börse seinerseits Entsorgungskosten.

Lockt da nicht selbst die Wiederverwertung? „Ich habe das ausprobiert“, sagt Volker Wunderwald, der eine Tischlerei betreibt und eine Zeit lang die irgendwo ausgebauten Fenster sammelte. „Aber als einzelner Handwerker kann man seinen Kunden letztlich nicht genügend Auswahl bieten“ – zu vielfältig seien die jeweiligen Anforderungen an Maße und Beschaffenheit. Wunderwalds Konsequenz: „Der richtige Ort für diese Art von Lagerhaltung ist hier.“

Das Freiburger Ökoinstitut hat errechnet, dass die Börse in den ersten anderthalb Jahren ihres Bestehens durch Recycling soviel Energie gespart habe, wie dem Gehalt von 75.300 Litern Heizöl entspricht. Und später? „Für eine Anschluss-Studie fehlte uns das Geld“, sagt Weiss. Dabei langt auch der Augenschein, um festzustellen, dass das Unternehmen sinnvoll ist: Eine einzelne wiederverwendete Emaille-Wanne spart 107 Kilo Kohlendioxid, eine historische Zimmertür allerdings nur siebeneinhalb Kilo. Die Masse macht’s trotzdem: Gebundenes Kohlendioxid, so weit das Auge reicht.