Kein Unterschied

Der FSV Mainz 05 spielt gleichwertig, verliert aber in der Verlängerung, weil die Bayern eben die Bayern sind

MÜNCHEN taz ■ Jürgen Klopp weiß, wo er hinmuss. Auch nach dem Schlusspfiff. Seine Jungs abklatschen, Hinterköpfe tätscheln, zum Anstands-Handshake zu den Schiedsrichtern – und dann aber nix wie ab zum Matchwinner: Trikot abstauben. Claudio Pizarro war der einzige Bayer, der an diesem eklig kalten Abend sein Leibchen ausziehen musste. Er tat es gern. Erstens hatte er noch was drunter, zweitens war ihm nach den aufregenden 120 Minuten sowieso schön warm, und drittens hätte er dem Souvenirjäger vor lauter Glück wohl auch noch die Sporthose mitgegeben. Dass der Mainzer Coach für seine zwei Jungs zu Hause bettelte, wusste der zweifache Torschütze gar nicht. Wäre ihm aber auch egal gewesen.

Die Lima-Connection Pizarro/Guerrero hat dem FC Bayern mit ihren drei Treffern eine unangenehme Überraschung erspart. Acht Minuten haben dem selbsternannten Karnevalsverein gefehlt, um dem selbst ernannten Champions-League-Sieg-Aspiranten die erste Niederlage im neuen Stadion zuzufügen, die erste Heimniederlage überhaupt seit dem Nulleins gegen Juve am 3. November 2004. 0:1, 1:1, 2:1, 2:2, 3:2 – ein Spielverlauf, den man als Bayern-Fan in der Allianz Arena nicht gewohnt ist. Ein Spiel mit vielen Premieren: erstmals nicht ausverkauft, nur 53.000 Zuschauer. Erstmals zwei Gegentore zu Hause. Erstmals ein Rückstand zur Halbzeit, ja gar bis zur 82. Minute. Bis der ungefähr 750. hohe Ball spielentscheidend auf Ballacks Schädel landete, von da aus dem Kollegen Pizarro vor die Stirn fiel, der die Kugel über die Linie drückte. Käpt’n Kahn fasste zusammen: „Die Mainzer haben schon eine geile Mannschaft. Sie kämpfen, sie machen, sie tun – und sind immer kurz davor. Aber wir haben dann doch eiskalt zurückgeschlagen.“

So ist es. Da kann der Gegner ein noch so perfektes Pressing spielen, mit bewundernswerter Laufbereitschaft alle Räume zustellen, auch noch früh einen Elfmeter geschenkt bekommen, froh sein, dass ein hartgefrorener Boden die Spielkultur der Bayern lähmt – nutzt alles nichts. Denn irgendwann greift das Gesetz der Zwangsläufigkeit, das da lautet: Die Bayern sind einfach besser. Wechseln zur Pause den fahrigen Hargreaves gegen den argentinischen Rambo Demichelis aus, der nach 20 Sekunden die gelbe Karte sieht, die Mainzer Offensive in der Folge aber erheblich hemmt. Wechseln wenig später die nationale Hoffnung Schweinsteiger ein, der mit einer „Riesenszene“ (so der Anti-Enthusiast Magath) dem natürlich auch eingewechselten Guerrero das 2:1 auflegt. Haben am Ende mehr Kraft, stecken nach Lahms Stellungsfehler auch Rumans erneuten Ausgleich weg und beenden das Match irgendwie logisch mit einem fulminanten Innenpfostentreffer aus einer Entfernung, aus der Pizarro sonst höchstens im Training und aus Gaudi aufs Tor schießt.

Die Mainzer Trauer über die knapp verpasste Sensation hielt sich in Grenzen. „Ich bin gar nicht sauer“, sagte Jürgen Klopp in seiner typischen Diktion, „unsere Mannschaft hat mir brutal gut gefallen. Natürlich ist es nicht das, was man sich vor dem Spiel vornimmt, dass man am Ende nur Komplimente kriegt.“ Bekamen sie dennoch: Uli Hoeneß sprach von „allererster Sahne“, „unterhaltsamem Fußball“, „war ja kein Unterschied festzustellen“ – aber bei allem Spaß dürfe man halt nicht vergessen, auch Punkte zu holen. Pragmatisch gab sich auch Felix Magath: „Schön, dass Mainz uns so gefordert hat. Das hilft uns am Freitag gegen Gladbach.“

Wahrscheinlich ist das der Unterschied: dieser unbedingte Wille aller, zu jedem Zeitpunkt alles Erdenkliche für den maximalen Erfolg zu tun. Nur Sekunden nachdem der Schiri diesen emotionalen Abend abgepfiffen hatte, liefen die ersten Bayern-Betreuer schon mit warmen Getränken zu den Profis hin. Und dass Pizarro in der Saukälte sein Hemd ausziehen durfte, lang auch nur an der Ski-Unterwäsche, die er darunter trug. Und die ist bestimmt atmungsaktiv, kälteresistent und hundert Prozent erkältungsabweisend. Mindestens. THOMAS BECKER