„Für mich ist das Auto ein mechanisches Pferd“

ROADMOVIE Der Regisseur Sébastien Lifshitz verbindet in „Plein Sud“ (Panorama) französisches und amerikanisches Kino. Ein Gespräch

■ Jahrgang 1968, hat an der École de Louvre und an der Sorbonne Kunstgeschichte studiert und arbeitete zunächst als Fotograf. Zu einer seiner ersten filmischen Arbeiten zählt die Doku „Claire Denis la vagabonde“ (1996, in der Reihe „Cinéastes de notre temps“ produziert). 2002 kam sein Debütfilm „Sommer wie Winter“ in die deutschen Kinos, zwei Jahre später erhielt er den Teddy für „Wild Side“. Lifshitz unterrichtet an der Filmhochschule Femis in Paris.

INTERVIEW BIRGIT GLOMBITZA

Vor sechs Jahren konnte Sébastien Lifshitz für „Wild Side“ den Teddy in Empfang nehmen. Dieses Jahr ist er mit „Plein Sud“ im Panorama vertreten, einem Roadmovie, in dem sich ein junger Mann auf den Weg zu seiner Mutter in Spanien macht. Die Anhalter, die nymphenhafte Léa, gespielt von dem französischen Nachwuchsstar Léa Seydoux, und ihr Bruder Matthieu landen irgendwann auf dem Rücksitz seines alten Fords. Drei Gestalten, drei Geschichten, aus denen nichts ordentliches Ganzes wird, aber ein faszinierendes Spiel aus Andeutungen, Verführungen, Körpern und Landschaften.

taz: Herr Lifshitz, „Plein Sud“ ist ein Roadmovie, aber eines, das die Mobilität des Genres blockiert und eher vom Stillstand als vom Fortkommen zu erzählen scheint.

Sébastien Lifshitz: Das liegt wohl daran, dass ich versucht habe, zwei Sorten Kino miteinander zu verbinden. Einmal die typisch französische, intime und auf die Binnenperspektive eingeengte Familiennovelle. Damit meine ich den Teil, der sich um die Hauptfigur Sam, die konfliktreiche Beziehung zu seiner Mutter, den toten Vater und den angepassten Bruder bezieht. Und dann das amerikanische Roadmovie mit seiner Weite und all den angedeuteten Optionen.

Wenn Sams alter Ford nicht von der Stelle zu kommen scheint, so könnte das auch daran liegen, dass Sams Geschichte von zwei Seiten gleichzeitig an ihm zerrt.

Ja, es gibt zwei Zeitstränge. Einen, der sich morbide in die Vergangenheit richtet und immer wieder zu seinem Vater führt, der sich eines Tages umbringt, und zur Mutter, die Sam unausgesprochen für alles haftbar macht. Und es gibt, erst schwach, dann aber immer deutlicher, einen Zeitstrang, der den Helden in die Gegenwart zieht und irgendwann nach aller Aggression den Weg in die Zukunft freigibt.

Das Auto ist im amerikanischen Kino ein mythischer Ort. Einen Teil dieser Überhöhung scheint ihr Film jedoch radikal zerschlagen zu wollen. Was ist mit Ihrem Auto los?

Für mich ist das Auto eher so etwas wie ein mechanisches Pferd. Ich habe an Western gedacht, besonders an „The Outlaw Josey Wales“ von und mit Clint Eastwood. Am Anfang steht ein Trauma. Ein Mann muss zusehen, wie seine Frau und seine Kinder von Gangstern massakriert werden. Die Verfolgung der Schurken und die Rache bilden den eigentlichen Plot. Sam ist der Cowboy, der Rache nehmen will.

Ist es auch sein Cowboytum, das ihn so unbeteiligt, wortkarg und kalt aussehen lässt?

Genau. Er spricht kaum und hat eigentlich nur zwei Gesichtsausdrücke. Dieses Limitierte hat mich sehr interessiert. Die Frage: Was ist das Minimum, mit dem sich ein Drama erzählen lässt?

Etwas, was vielleicht noch irritierender an „Plein Sud“ ist als seine westerntypische Sprachlosigkeit, ist sein Look.

Ja, er sieht nicht aus wie ein französischer Independentfilm, nicht wahr? Er sieht eher aus wie ein amerikanischer.

Worin liegt der Unterschied?

Viele französische Independentfilmer haben Angst davor, dass die Figuren in ihrer Physiognomie eine eigene Schönheit, einen eigenen Glanz entwickeln könnten. Deswegen entscheiden sie sich für einen sehr sachlichen und dokumentarischen Stil. Ein sozialer Naturalismus, wie man ihn auch bei der „Berliner Schule“ finden kann. Meine Ästhetik ist eine, die man auch in Comedys finden könnte. Sie setzt ganz bewusst Farben ein, ist verspielter, weicher im Gegensatz zu der dramatischen Härte, von der der Film eigentlich erzählt

Ihre Figuren haben keine Biografie, keine Psychologie, sie sind aus der Zeit gefallen. Warum dürfen wir nicht mehr über sie wissen?

Sie sollen ort- und zeitlos bleiben genau wie die Landschaft, die sie umgibt. Ich mag keine Figurenpsychologie. Ohne sie kann man sich unmittelbarer auf ihr Innenleben, ihre Wut oder ihre Sehnsucht konzentrieren. Sie sind in einem eigenen hermetischen Raum, in den das wirkliche Leben nicht eindringt. In „Plein Sud“ gibt es die Elemente Feuer, Wasser, Erde und als Zusatz, losgelöst von allem, den Menschen darin.

„Meine Ästhetik ist eine, die man auch in Comedys finden könnte“

Gibt es eine spezifische Farbdramaturgie in „Plein Sud“?

Ich komme aus der Fotografie, ich mag es, mit Farben zu übertreiben, mich mit ihnen auf der ganzen Leinwand auszubreiten und mit ihnen die Körper meiner Figuren in die Landschaften zu „inkarnieren“. Wir haben Kodakfilme mit geringer Lichtempfindlichkeit und geringer Körnigkeit benutzt, um eine große Farbsättigung zu erhalten. Man kann auch mit anderem, digitalem Material arbeiten, aber da entsteht schnell ein sehr hässlicher Videolook. Ganz besonders, wenn man viel Himmel und Landschaften im Bild hat.

Es gibt kaum mittlere Einstellungsgrößen. Warum?

Ich wollte keine. Ich wollte lieber den harten Wechsel von nahen zu weiten Einstellungen. Das Auge sollte keine zusätzlichen Bezugspunkte haben und sich immer überraschen lassen, wo es als Nächstes landet. Ich wollte nur die vereinzelten, kontextlosen Körper und die Landschaft. Das ist lyrischer, abstrakter und entwickelt genau den assoziativen Raum, den ich immer suche.

Haben Sie so etwas wie eine Vision vom Kino?

Eine Vision … das kann ich schwer ausdrücken. Ich will nicht dogmatisch sein, aber es gibt im klassischen Erzählkino diese Tradition von Sprache, von Charakteren, die ihr Tun und Denken erklären oder kommentieren. Für mich ist es das Bild, das mit seinem Aufbau, seinen Farben, seiner Anordnung der Körper und Objekte die wesentlichen Informationen enthält. Licht, Bewegung und Bild, jedes einzelne Element kann hypnotisch sein. Sie aus ihrer Abstraktion wieder zurückzuholen und zu vertexten ist für mich tautologisch.

■ 14. 2., 20 Uhr: CinemaxX7, weitere Termine: www.berlinale.de