BERNHARD GESSLERSTETHOSKOP
: Alkohol? Ja, aber nur Schorle

Herauszufinden, wie viel ein Patient tatsächlich trinkt, gehört zu den großen Herausforderungen der Medizin. Zumindest im Gespräch, denn die folgende Untersuchung der Leber spricht leider oft für sich

Zu den kniffligeren Aufgaben eines Arztes bei der Erhebung der Krankengeschichte (Anamnese) gehört die Frage nach der Menge des konsumierten Alkohols. Nur eine möglichst realistische Beschreibung der Menge und der Art des Alkohols über einen gewissen Zeitraum ermöglicht die Unterscheidung zwischen Konsum und Krankheit (Abusus). Doch selbst bei klarer Quantifizierung gleicht die Bewertung der Angaben einem Puzzlespiel.

Ich habe mir angewöhnt, die Frage nach dem Alkoholkonsum direkt nach der Frage „Rauchen Sie?“ zu stellen. Dabei stelle ich bewusst die Frage so offen und knapp wie möglich: „Alkohol?“ – um eine möglichst impulsive Antwort meines Gegenübers zu erreichen.

Die Befragung enthält für jeden Arzt ein nur schwer überwindbares Dilemma: Einerseits möchte er eine möglichst realistische und genaue Antwort. Andererseits will er nicht die Rolle eines Verhörkommissars oder eines Moralapostels einnehmen.

Es gibt mindestens vier klassische Antworten auf die Frage nach dem Alkoholkonsum: „Ganz normal“, „Nur ein bis zwei Bier am Abend“, „Ja, aber nie bei der Arbeit“ und „Ja, aber nur Schorle“. Bei der Bewertung der Antwort „ganz normal“ ist die Kenntnis über die soziale Anamnese zielführend: „Ganz normal“ bedeutet bei einem Winzer etwas ganz anderes als bei einer Pastoren-Gattin – zumindest in der Regel. Was die „ein bis zwei Bier am Abend“ betrifft, so empfahl einer meiner ehemaligen Chefs uns Assistenzärzten, die Mengenangaben im Geiste immer zu verdoppeln. Je länger ich in der praktischen Medizin arbeite, für umso treffender halte ich seinen Rat.

Hellhörig werde ich bei der Antwort „Ja, aber nie bei der Arbeit“: Bei weiterem Nachfragen ergibt sich hier nämlich oft das Bild eines regelhaft feucht-fröhlichen Feierabends.

Alle Alarmglocken schrillen bei mir jedoch bei der Antwort: „Ja, aber nur Schorle.“ (Für alle LeserInnen, die das Pech haben, nicht in Weinbau-Regionen zu leben: Wein mit Sprudel.) Bei diesen Patienten zeigen sich dann im Ultraschall nicht selten die „Nur Schorle“-Zeichen der Leber – in Form einer Zirrhose. Und dieses Stadium der Leberveränderung ist unumkehrbar. Oder im schnarrenden O-Ton des Pathologen: „Ein gebratenes Steak wird nie wieder blutig!“ Na denn, zum Wohl!

Der Autor arbeitet ist Internist in Karlsruhe Foto: Privat