In der Welt von Cindy und Barth

LACHEN Live-Comedy füllt nicht mehr nur Clubs. Sondern Hallen. Immer größere Hallen. Nach Mario Barth kommt nun Cindy aus Marzahn. Dabei dachten die Moralisten, die Spaßgesellschaft sei am Ende. Wie kommt es, dass Cindys Fotz- und Kotzgeschichten so beliebt sind?

Die Aufsteigerin: Cindy aus Marzahn, eigentlich Ilka Bessin, 39. Neuer weibliche Star-Comedian Deutschlands. Gelernte Köchin. Lebt in Berlin. Begann als Kellnerin. Nach ihrer Entdeckung 2005 schnell in gemeinsamer Firma mit dem Kölner Produzenten Jörg Grabosch. Im Fernsehen bei RTL mit „Cindy aus Marzahn & Die Jungen Wilden“ (Samstag, 23 Uhr). Derzeit auf Tour mit: „Nicht jeder Prinz kommt uff’m Pferd“. Klassischer Satz: „Metrosexuell ist ficken in der U-Bahn.“

VON PETER UNFRIED

Am sechsten Tag verdunkelte sich die Sonne und Cindy aus Marzahn wurde geboren. Sie plumpste Uschi bei der Arbeit im Grillstübchen unten raus. Wog 8,5 Kilo. Die Nabelschnur wurde mit der Geflügelzange durchgeschnitten. Heute hat Frau Cindy, wie sie sich nennt, „keine Titten“, keinen Mann, keine Lohnarbeit, aber dafür eine „Fett-Rate“ bei der Telekom. Zu allem Unglück ist ihr primäres Geschlechtsorgan groß. Sehr groß. Sie nennt es „den großen Bären“. Es braucht eine Fototapete, um das Teil abbilden zu können. Klitzekleiner Aufstöhner im Publikum.

„Watt denn, watt denn“, kontert Frau Cindy, „deswegen seid ihr doch hergekommen.“

2.800 Leute füllen an diesem Abend zur Tourpremiere das Berliner Tempodrom. Ausverkauft. Mehr noch: Cindy aus Marzahn hat die riesige Halle drei Tage in Folge gefüllt. Schlangen am Souvenirstand, Schlangen vor der Frauentoilette. So geht das überall. Die Tour läuft in Hallen mit bis zu 4.000 Plätzen und ist bis in den Sommer hinein nahezu ausverkauft.

Das Programm heißt „Nicht jeder Prinz kommt uff’m Pferd“ und besteht darin, dass Cindy in einer rosa Jogginghose hüftsteif hin- und herwatschelt, ihren Bauch rausstreckt. Im Hintergrund der Bühne leuchtet die Silhouette von Marzahn, ein DDR-Plattenbau-Stadtteil im Osten Berlins. Cindys Show bietet Geschichten aus dem Leben einer arbeits- und partnerlosen Proletarierin mit Alzheimer-Bulimie (sie isst den ganzen Tag und vergisst abends zu kotzen). Dazu Eskimo-Witze („Wie befriedigt sich eine Eskimofrau?“), mehrere Dutzend Mal das Wort Fotze („Ich werde nicht mehr so sexistisch sein“) und Interaktion mit dem Publikum („Was bist denn du für ein Scheißkerl?“). Will einer die Halle verlassen, fängt ihn das Scheinwerferlicht ein. „He, wo gehst du hin?“, dröhnt Cindy. Manche, die schon öfter da waren, trauen sich nicht mehr aufs Klo. Andere legen es darauf an, obwohl sie gar nicht müssen.

Von Broder geschmäht

Frau Cindy, Mario Barth und die anderen – das ist mal wieder eine echte Herausforderung, nicht nur für die Propheten des Kulturskeptizismus. Entsprechend wird in den Zeitungsfeuilletons die „Verflachung“ durch Comedy thematisiert. Die letzten stehenden Kabarettisten mit Weltkriegsbiografie bruddeln, dass Comedy „unpolitisch“ sei und von oben nach unten austeile. Speziell über Mario Barth, die aktuelle Nummer 1 der Branche, können sich Bildungsbürger in Rage reden. Sein Frauenbild! Und sein Männerbild erst.

Frau Cindy haben die Feuilletonisten noch nicht aufgespürt. Aber der Publizist Henryk M. Broder hat sie schon als „Humor-Königin des Prekariats“ bezeichnet, und zwar eines, „das nicht befreit, sondern nur unterhalten werden will“. Eine Feststellung von oben nach unten.

Comedy-Elder-Statesman Hugo Egon Balder hat mal gesagt, dass in Deutschland nicht ohne Grund gelacht werden dürfe. Oder sollte man sagen: Keine Pointe darf auf deutschem Boden zünden, die nicht zeigt, dass man geläutert ist vom Nationalsozialismus? Und – wie ehedem Dieter Hildebrandt – kritisch-solidarisch-pädagogisch gegenüber der Sozialdemokratie.

Der Publizist Michael Jürgs hält Comedians wie Barth sogar für demokratiegefährdend. „So was kommt von so was“, sagt Jürgs: „Aus Dummheit wächst Verwahrlosung der Sitten.“ Jürgs, 64, war Tempo- und Stern-Chefredakteur. In seinem Bestseller „Seichtgebiete“ beschreibt er „die Ausbreitung des Blöden“. Cindys Scherz mit der Alzheimer-Bulimie? „Das finde ich nicht komisch angesichts von 1,2 Millionen Demenzkranken in Deutschland.“

Die Gegenargumentation geht so: Ach, Leute. Unterhaltung will unterhalten. Gute Unterhaltung ist, wenn viele Leute lachen. Punkt.

Aber zu dem Preis, dass die Deutschen am Ende als Idiotin und Idiot dastehen und sich auch noch drüber freuen? „Das wäre ein Qualitätssprung“, sagt der Wiener Alfred Dorfer, „ein Qualitätssprung zur Selbstironie.“ Dorfer ist ein Kritikerliebling unter den Postkabarettisten im deutschsprachigen Raum. Ein Ex-Studienabbrecher, der mit 46 doch noch abschloss. Ist das nicht bedenklich, wenn jetzt Elektriker wie Barth und Arbeitslose wie Cindy das Monopol der Studienabbrecher auf das Humor-Geschäft angreifen? Nein, sagt Dorfer. Sei es nicht. „Aber richtig gefährlich wird es, wenn sie in den Markt der Feuilletonisten eindringen und die Feuilletons schreiben wollen.“

Wie aber kommt es überhaupt, dass Live-Comedy so viele Menschen anzieht?

In Köln sitzt Jörg Grabosch, 47, Pionier des Comedy-Geschäfts im deutschen Privatfernsehen. Mit seiner Firma Brainpool hat er ein Wertschöpfungsketten- und Machtmodell aufgebaut. Mit fast jedem seiner Stars macht er eine gemeinsame Firma auf, an der Brainpool und der Star mit je 50 Prozent beteiligt sind. Brainpool profitiert vom Star, der Star von Brainpool und beide zusammen lassen die Fernsehsender zahlen – auch für Wiederholungen. Zum System Grabosch gehören Stefan Raab, Anke Engelke oder Bastian Pastewka. Früher hatte Grabosch auch Firmen mit Mario Barth und Oliver Pocher. Ganz früher arbeitete er mit Harald Schmidt. Auch beim Joint Venture zwischen Grabosch und Cindy aus Marzahn namens „Princess TV“ halten beide 50 Prozent.

„Ich finde, Lachen ist ein Grundbedürfnis wie Essen und Schlafen“

Rick Kavanian, Comedian

Also, Herr Grabosch: Der Bürger wird angesichts dieser schweren Zeit und ihrer Krisen gravitätisch und lacht nicht mehr – und die Prolls lachen sich fatalistisch kaputt?

„Quatsch“, sagt Grabosch. Er ist der Typ pragmatischer Impresario, der angenehmerweise nie verbrämt, dass es im kommerziellen Kulturgeschäft ums Geld geht. Der genau weiß, dass niemand mehr bei der FAZ anruft, um zu fragen, worüber man lachen darf. Und der keine Eitelkeitsprobleme damit hat, dass stets der Partner mit den anderen 50 Prozent der Berühmte ist.

Richtig sei, dass es einen Live-Comedy-Boom gebe, sagt Grabosch. Aber man solle sich mal das Publikum von Dieter Nuhr und Eckart von Hirschhausen ansehen: „Akademiker in erhöhter Dichte.“ Manche sagen: Die Abiturliga. Warum lassen Leute, die Comedy mögen, vermehrt die Fernbedienung fallen, um sie live zu erleben? „Wir reden hier ja über kommerzielle Unterhaltung“, sagt Grabosch. „Die Leute wollen angesichts der erschlagenden medialen Eindrücke irgendwo hingehen und sagen: Das gibt es wirklich. Da war ich. Es war lustig.“

Früher arbeiteten sich die Humoristen aus Sälen und Turnhallen ins Fernsehen hoch. Heute ist es oft umgekehrt. Mario Barth hat 2008 das Olympia-Stadion in Berlin gebucht und mit 70.000 Leuten gefüllt. Das ist einmalig. Barth, 37, kommt aus Berlin, hat bei Siemens Elektriker gelernt, danach eine Schauspielausbildung durchlaufen und ist über Graboschs Comedy-Infrastruktur aufgestiegen. Aber auch Atze Schröder, Eckart von Hirschhausen oder Dieter Nuhr können große Hallen ausverkaufen. Und Bülent Ceylan.

Zunächst hatte Grabosch Zweifel wegen Ceylans starkem Dialekt, ob man den überhaupt deutschlandweit zeigen könne. Er kommt aus Mannheim, sein Vater aus der Türkei. Als Ceylan in einem kleinen Club auftrat, gab ihm Grabosch Bescheid, dass er ihn nach der Show sprechen wollte. Es dauerte eine halbe Stunde, bis der Comedian es von der Bühne an den Tisch des Produzenten schaffte. „Alle Mädels wollten mit ihm Handyfotos machen.“ Da wusste er, dass er seinen Mann gefunden hatte. Man inszenierte einen Auftritt in der Mannheimer SAP-Arena. 10.000 Leute kamen, inzwischen ist er eine Nummer, deutschlandweit und auch im Fernsehen.

Comedians sind deutsche Popstars des 21. Jahrhunderts. Das ist Graboschs These. „Nicht die einzigen Popstars, aber eben auch Popstars.“ Und was Mario Barth angehe: „Das ist nicht die Entdeckung der Kernphysik. Das ist Unterhaltung, wie in der Popmusik die meisten Songs übrigens auch.“

Der Bestseller-Autor und Star-Comedian Eckart von Hirschhausen sagt: „Früher gab es einen Unterschied zwischen Humor und Musik. Humor hieß, dass man überrascht wurde. Witze waren gut, wenn sie neu waren.“ Heute sei das anders: „Wenn Mario Barth das Publikum rockt, ist es wie bei Rockmusikern. Das Publikum kommt und will die Hits hören.“

Und was sagt Cindy?

Die Darstellerin aus Marzahn heißt Ilka Bessin, ist 39 und wuchs auf in Luckenwalde, DDR. Lernte im VEB Wälzlagerwerk Luckenwalde Köchin, schulte zur Hotelfachfrau um. Arbeitete als Kellnerin, und es heißt, ein Wirt haben sie mal als „zu fett für den Tresen“ fortgeschickt. Sie war eine Zeit lang arbeitslos und bezog Arbeitslosengeld II. Dann gewann sie einen Comedy-Talentwettbewerb. Seit Brainpool ihr Potenzial ausschöpft, geht es ab.

Ein Treffen mit Ilka Bessin kommt nach einigem Hin und Her nicht zustande. Dafür ein Telefoninterview. Warum boomt Live Comedy?

„Weil die Leute Spaß haben, wegzugehen, weil es draußen eh schon düster genug ist.“

Der Produzent: Jörg Grabosch, 47, ist geschäftsführender Gesellschafter der Comedy-Produktionsfirma Brainpool. Früher Premiere-Chefredakteur und Produzent der Harald Schmidt Show. Lebt in Köln. Sucht derzeit mit Stefan Raab nach deutschem Eurovisions-Song. Klassischer Satz: „Comedy ist im Unterschied zum Kabarett gut, wenn sie lustig ist.“

Wie erklären Sie sich Ihre atemberaubende Karriere?

„Ich fülle eine Lücke aus, die nicht da war. Eine Frau aus dem Volk. Sie sagt, was sie denkt.“ Von „Karriere“ will sie auch gar nicht sprechen, das könne man nach fünfzehn Jahren.

Schreiben Sie Ihr Material komplett selbst?

„Das Material schreibt das Leben.“

In Marzahn sind nicht alle glücklich über Cindy aus Marzahn?

„In Bochum sind auch nicht alle glücklich über Cindy aus Marzahn.“

Es ist leider nicht möglich, mit dem Menschen Ilka Bessin zu sprechen. Etwa darüber, ob und wie die Konflikte der Gesellschaft in ihre Arbeit einfließen, die Cindy zu Cindy machen. Ausgerechnet die Frau, der auf der Bühne nichts peinlich ist, blockt alles ab. Selbst wenn man sie auf die humoristische Funktion von Cindys Gewicht anspricht, wird sie barsch. Dabei füllen selbstironische Witze darüber ihr halbes Programm. Bessin besteht darauf, das Gespräch als „Cindy aus Marzahn“ zu führen. Warum, will sie nicht sagen. Auch reflektierende, kunsthandwerkliche oder frauenpolitische Erörterungen meidet sie während des ganzen Gesprächs.

Aber auf die Frage nach ihrer Position in Sachen Gender Mainstreaming sagt sie: „Es gibt unterschiedliche Frauen.“ Und ein Satz könnte womöglich sogar der Kern ihrer Arbeit sein: „Es kommt darauf an, dass man jeden so akzeptiert, wie er ist.“

Man fragt sich, ob man nicht doch ein wenig mit Ilka Bessin gesprochen hat.

Die Figur Cindy habe „sehr viel Ilka“, sagt Jörg Grabosch, ihr Impresario. Zwar renne Bessin privat nicht in Jogginghosen rum, aber sie wiege eben auch da nicht 50 Kilo. Warum lachen die Leute über die dicke, arbeitslose, sexuell unbefriedigte Cindy? Identifikation und Abgrenzung. „Die einen sagen: Die ist wie wir“, sagt Grabosch. „Die anderen sagen: Nee, die ist noch schlimmer.“ Man kann es so sehen, dass Cindy Klischees vom Proletariat und von entbürgerlichter Ostkultur abbildet und damit vorhandene Antipathien befriedigt. Gerade auch gegenüber Marzahn.

„So was kommt von so was. Aus Dummheit wächst die Verwahrlosung der Sitten“ Michael Jürgs, Publizist

Man kann aber auch sagen, dass Cindy eine dermaßen klischierte Verzerrung einer kulturlosen Ost-Proletarierin ist, dass sie die Leute mit ihren eigenen Vorurteilen konfrontiert. Oder man kann sagen, dass Cindy eine Frau ist, die nach bürgerlichen oder feministischen Vorstellungen problematisch agiert, aber genau deshalb befreit und souverän mit ihrer Sexualität, ihrem Übergewicht und dem Mangel an sozialer und männlicher Anerkennung umgeht.

Und wo geht das bürgerliche Publikum hin?

Braunschweig. Der Comedian heißt Rick Kavanian. Etwa 350 Leute sind in die „Brunsviga“-Halle gekommen. Junges bis mittelaltes Publikum.Wie es aussieht: Abiturliga. Ausverkauft. Wie Cindy steht auch Kavanian für die Entwicklung weg vom Fernsehen und hin zur Livecomedy. Er ist ein Fernsehstar der ersten Stunde. Als Partner von Michael Herbig machte er die „Bullyparade“ auf Pro Sieben. Ihre Filme „Der Schuh des Manitou“ und „(T)Raumschiff Surprise“ sind die erfolgreichsten deutschen Kinofilme überhaupt. Nach dem Ende der TV-Comedy „Bully und Rick“ 2006 hat sich Kavanian der Bühne zugewandt.

„Ipanema“ ist sein zweites Soloprogramm. Es geht um drei Freunde, die am Flughafen auf den Start ihrer Maschine nach Rio warten, wo sie zu einer Hochzeit eingeladen sind. Kavanian spielt alle Rollen. Es sind etwa zwanzig Figuren; darunter diverse, die sein Publikum aus der „Bullyparade“ kennt. Eine von Kavanians Stärken ist die Parodie und die Überzeichnung ethnischer Typen: Bayern, Griechen, Niederländer, Sachsen, Briten. Klinsmann. Die Klitschkos. Kavanian trägt Adidas, Jeans und Hemd. Das kann man als Botschaft verstehen. Kleider machen keinen Humor. Die blitzschnellen Hin-und-Her-Verwandlungen sollen ohne Perücken und Kleidung funktionieren, einzig über Dialekt, Mimik und Körperhaltung. Das tun sie. Auch, weil die Bühne nicht so weit entfernt ist wie in einer Großhalle. Der Lachfaktor ist hoch an diesem Abend.

Kavanians Vorfahren kommen aus Armenien, seine Eltern sind in den Sechzigern von Bukarest nach München gezogen; Vater Journalist. Er ist Studienabbrecher, Politikwissenschaften. Eigentlich wollte er Kinderarzt werden, aber sein Abi war nicht gut genug. Er sagt, er sei „tendenziell eher bürgerlich“ aufgewachsen, etwas „migriert“, behütet und vor allem viersprachig. Er fing mit Comedy Anfang der Neunziger beim Privatradio an. Erst später studierte er die Schauspielerei. Als er zurückkehrte, hatte sein Freund Herbig eine neue Sendung bei ProSieben.

In Braunschweig reißt er einen Steinmeier-SPD-Witz, ein paar Passagen, die man kabarettistisch nennen könnte, einen Stalingrad-Witz. Kavanians Figuren sind kein überzeichnetes proletarisches Panoptikum wie bei Cindy. Die Figur des „Rick“ ist die zurückgenommenste und damit unkomischste von allen. Kavanian ist in dieser Hinsicht eher wie Oliver Welke, der in der „heute show“ im ZDF den anderen Figuren die Bühne gibt. Und nicht wie Harald Schmidt, der in der ARD in seinem Licht alle anderen verbrennt.

In Braunschweig diskutieren sie im Publikum bei Weizenbier über Cindy aus Marzahn. „Im Fernsehen kuck ich mir das an. Aber hingehen?“ In der Abiturliga schütteln sie den Kopf.

Am nächsten Tag in der Lobby eines Braunschweiger Mittelklasse-Hotels. Kavanian, Espresso, Wasser, Tourmanager. Schnell die Frage nach der angeblichen „Spaßgesellschaft“ und deren angeblichem Ende nach Nine/Eleven und der Weltfinanzkrise gestellt. Und wie passt das zum Live-Comedy-Boom?

Hm, antwortet Kavanian, Spaßgesellschaft. Das müsse wohl ein sehr altes Wort sein.

Der Marktführer: Mario Barth, 37. Comedian. Nummer 1 der Branche. Hassfigur des Bildungsbürgertums. „Der Schlimmste von allen“, nennt ihn der Publizist Michael Jürgs. Lernte bei Siemens Elektriker (Telekommunikationsanlagen-Elektronik). Lebt in Berlin. Begann als Messdiener. Derzeit auf Tour mit: „Männer sind peinlich, Frauen manchmal auch!“ Das Thema bei den Auftritten vor tausenden Zuschauern: seine Freundin. Klassischer Satz: „Pass uff, jeht noch weita.“

Neunziger halt.

„Eher Neunziger des 19. Jahrhunderts.“

Spaßgesellschaft klingt ihm sehr nach Feuilleton. Vorsicht, hier wird gelacht. Er glaubt weder, dass der Mensch in der Krise nicht mehr lacht, noch dass er mehr lachen will als sonst. „Ich finde, Lachen ist ein Grundbedürfnis wie Essen und Schlafen.“ Wenn man ihn richtig versteht, so geht es ihm darum, nach all den Jahren, den Verkleidungen, den Kompromissen im Schlepptau von Bully Herbig endlich zu sagen: Hey, das bin ich. Er mag es, dass die Leute sich bewusst für ihn entscheiden. „Nicht dieses hektische Hin- und Herschalten wie beim Fernsehen.“

Ist die Kehrseite des Live-Comedy-Booms die Comedy-Fernsehkrise?

„Ich glaube, es gibt eine grundsätzliche Krise des Fernsehens. Was auch der Grund ist, warum ich kaum fernsehe und kein Fernsehen mache – zumindest derzeit.“

Als der Quatsch losging

Der Vielsprachige: Rick Kavanian, 38. Comedian und Schauspieler. Drehte mit Bully Herbig „Der Schuh des Manitou“ und „(T)Raumschiff Surprise“. Lebt in München. Derzeit auf Tour mit „Ipanema“. Beherrscht Armenisch, Rumänisch, Deutsch, Englisch und haufenweise Dialekte. Klassischer Satz: „Der Dimi hat nur Shitbull im Kopf.“

Der Comedyboom in Deutschland begann 1993 mit der RTL-Serie „Samstag Nacht“, einer Adaption des US-Comedy-Klassikers „Saturday Night Live“, der 1975 startete. Die „Samstag Nacht“-Protagonisten Olli Dittrich und Wiegald Boning hatten sich im „Quatsch Comedy Club“ ausprobiert, dem ersten Stand-Up-Comedy Club in Deutschland, der in der Kantine des Hamburger Schauspielhauses begann. Erst 1992 war das.

Woran man schon sieht, dass in Deutschland etwas nachgeholt wurde. Comedy meint definitorisch zunächst nur „Komödie“; in diversen Ausprägungen. Sie war in der Herstellung günstig. Grabosch sagte mal: Nicht die Deutschen hätten das Lachen gelernt, sondern die Sender das Rechnen. Heute sagt er: „Durch den Boom über Jahre war die Nachfrage nach Comedy im Fernsehen oft größer als das Talent der Macher. Aber es ist gar nicht schlecht, dass sich die Spreu vom Weizen trennt.“

Der Comedy-Freitag auf RTL ist nach längerem Herumdoktern eingeschläfert worden. Der Comedy-Freitag auf Sat.1 vegetiert zur Hälfte mit Wiederholungen dahin. Sinkende Werbeeinnahmen, sinkende Etats, steigende Angst. Folge: Nur Adaptionen von Formaten aus dem Ausland, keine eigenen Ideen. „Mit diesem Quotenmesser im Rücken kannst du keine Qualität erzeugen“, sagt Kavanian. „Selbst eine gute Idee hat langfristig keine Chance, weil sie die Zeit nicht mehr kriegt, um sich durchzusetzen.“ Wenn er doch noch was schaut, dann ZDFneo oder 3sat. „Früher gab es noch…“, sagt er.

Früher war alles besser?

„Beim Fernsehen schon“, sagt Rick Kavanian, 38 Jahre alt. Cindy aus Marzahn hat er noch nie live gesehen.

Womit befriedigt sich denn nun eine Eskimofrau? Mit einem rasierten Pinguin. Und warum? Weil er so schön bibbert.

Watt denn? Schlimm?

Peter Unfried, 46, ist taz-Chefreporter und lacht nicht über Günther Oettinger. Denn das wäre gemein