Zeichnen, was zu sehen ist

JÜDISCHES MUSEUM Der tschechische Karikaturist Bedrich Fritta musste propagandistische Zeichnungen des NS-Lagers Theresienstadt anfertigen. Doch heimlich schuf er ein Werk, in dem er die Wirklichkeit des „Altersghettos“ verarbeitete

VON MARKUS HUTH

Gespenster stieren dem Betrachter vom Blatt entgegen. Der jüdisch-tschechische Grafiker und Karikaturist Bedrich Fritta musste für diese und andere Zeichnungen sterben. Sie zeigen Szenen aus dem NS-„Altersghetto“ Theresienstadt. Um Juden logistisch effizient per Güterzug in Vernichtungslager wie Auschwitz zu bringen, hatten es die deutschen Besatzer 1941 nördlich von Prag eingerichtet. Frittas Zeichnungen zeigen eine Welt des Leids, der Verzweiflung, aber auch Momente der Menschlichkeit. Fast sieben Jahrzehnte nach Frittas Tod sind seine Arbeiten aus dem Ghetto im Jüdischen Museum Berlin erstmals in Deutschland ausgestellt.

„Dunkelheit herrschte im Keller, als wir am Abend das Knarren der Bremsen hörten und gleich darauf das charakteristische Gebrüll der SS, die in den Keller stürmte und uns mit Knüffen und Schlägen in die verdeckten Lastautos hineintrieben. Dort fanden wir unsere Frauen, weinend, aber glücklich bei unserem Anblick. Frittas Frau war da mit dem dreijährigen Sohn Tomáš.“ So erinnerte sich Frittas Künstlerkollege Leo Haas, der den Krieg überlebte, später an den Abtransport ins Gestapo-Gefängnis in der Festung von Theresienstadt. Kurz zuvor waren die heimlich angefertigten Zeichnungen entdeckt worden. Verhört wurde Fritta vom Organisator des Holocaust, Adolf Eichmann, persönlich. Das Urteil: Wegen „Gräuelpropaganda“ ins Vernichtungslager Auschwitz. Der Künstler und seine Frau fanden bald darauf den Tod. Zwar überdauerten Frittas Bilder, wurden aber bis heute selten im Original ausgestellt.

Dem Jüdischen Museum Berlin hatte Frittas Sohn Tomáš, der das Ghetto als Kleinkind überlebte, die über 100 großformatigen Tuschezeichnungen und Skizzen vor rund 10 Jahren als Dauerleihgabe anvertraut. Allerdings zeigte das Haus davon bisher nur einige ausgewählte Skizzen in seiner Dauerausstellung. Vor Kurzem wurden die großformatigen Tuschezeichnungen restauriert und sind nun Gegenstand der Ausstellung.

Bedrich Fritta, geboren 1906 als Fritz Taussig in Böhmisch Weigsdorf, war 35 Jahre alt, als die SS ihn, seine Frau und den nicht einmal einjährigen Sohn 1941 aus Prag nach Theresienstadt verschleppte. Schnell erkannte die NS-Kommandantur sein Talent und machte ihn zum Leiter des Zeichenbüros der jüdischen Selbstverwaltung. Er sollte Propagandabilder und Baupläne von Aufbauarbeiten zeichnen, die das Ghetto als reibungslos funktionierende und unter Selbstverwaltung stehende Siedlung präsentierten. Die SS wollte der Weltöffentlichkeit vorgaukeln, dass zwischen den Festungsmauern der alten Garnisionsstadt eine jüdische Mustersiedlung entstünde.

Doch heimlich hielten Fritta und Künstlerkollegen wie Leo Haas fest, was sie sahen: Hungernde, Todestransporte, Hoffnungslosigkeit. Theresienstadt war entgegen der NS-Propaganda eine Hölle wie andere Ghettos und Lager. Ursprünglich angelegt für 7.500 Bewohner kämpften bald bis zu 60.000 Juden aus vielen Teilen Europas ums Überleben. Historiker schätzen, dass zwischen 1941 und 1945 über 150.000 Menschen interniert waren. Die meisten von ihnen ermordete die SS in Vernichtungslagern. Viele andere verhungerten im Ghetto oder starben an Krankheit und Gewalt.

Frittas Tuschezeichnung „Kulissen für die internationale Kommission“ entlarvt eilig errichtete Läden und Geschäfte als das, was sie waren: Attrappen. Kulissen, hinter deren Fassade die Gliedmaßen toter Körper hervorragen. Doch dann, im Vordergrund: ein sich küssendes Liebespaar. Zwischen dem Elend zeigt Fritta immer wieder Momente der Menschlichkeit, etwa Ghettobewohner, die eine Varieté-Aufführung von Akrobaten anschauen.

Zwar stellten kurz nach dem Krieg Museen in Prag und London Frittas Zeichnungen aus. Doch bisher wurden sie vor allem als zeithistorische Dokumente verstanden. Die Ausstellungsmacher wollen nun die künstlerische Qualität der Zeichnungen würdigen. „Fritta nutzte Stilmittel der Karikatur, des Expressionismus und des Symbolismus, um die groteske Scheinwirklichkeit einer angeblichen jüdischen Mustersiedlung in aller Schärfe bloßzustellen“, sagt Ausstellungskurator Grünemeier. Kein anderer Künstler, sagt der Kurator, brachte einen derart intensiven künstlerischen Willen mitten im Grauen des Ghettos zum Ausdruck.

Fritta und seine Kollegen wussten, dass die SS sie umbringen würde, sollte ihre Kunst entdeckt werden. Kurz bevor die SS-Männer Fritta aus dem Keller in den Lastwagen zerrten, konnte er seine Bilder im Hof vergraben, wo sie den Krieg überdauerten und schließlich in den Besitz eines Prager Museums und später seines Sohns gelangten. Darunter auch das Bilderbuch „Für Tommy zum dritten Geburtstag in Theresienstadt“. Darin zeichnete der Vater ausnahmsweise nicht das Grauen, sondern Wunschbilder eines fröhlichen Fests. Mit Kuchen, Geschenken und Blumen. So sollte sein kleiner Sohn eine Welt ohne das Ghetto kennenlernen. Tommy sollte diese andere Welt tatsächlich sehen. Nach dem Krieg adoptierte ihn Frittas Künstlerkollege Leo Haas. Tomáš Fritta-Haas wurde Bibliothekar in Mannheim, wo der 72-Jährige noch heute lebt.

■ Bis 25. August 2013