„Ältere wollen gebraucht werden“

BEDÜRFNISSE Die Stadt ist an vielen Stellen nicht altersgerecht, sagt Seniorenbeirat Peter Stawenow

■ 51, kommt ursprünglich aus Sachsen. Bis 2005 war er Geschäftsführer der Volkssolidarität, jetzt ist er Leiter des Kompetenzzentrums für offene Altersarbeit beim Sozialwerk Berlin. Nebenher arbeitet Stawenow ehrenamtlich im Vorstand des Landesseniorenbeirats, der den Senat berät.

taz: Herr Stawenow, Berlins Einwohner werden immer älter. Ist die Stadt darauf vorbereitet?

Peter Stawenow: Man hat natürlich versucht, diesem Trend Rechnung zu tragen. Zurzeit werden die Leitlinien für die Seniorenpolitik, die der Senat 2005 beschlossen hat, überarbeitet. Über die Änderungen soll in den nächsten Tagen entschieden werden. Dort sind alle Fragen, die Senioren beschäftigen in der Stadt, mit konkreten Zielen enthalten. Das betrifft Gesundheit und Soziales, aber auch gesellschaftliche Teilhabe, Mitbestimmung oder Wohnen, Stadtentwicklung, Verkehr. Das geht bis zur letzten Leitlinie Nr. 15, die sich mit Altersarmut beschäftigt.

Gibt es zum Beispiel genug altersgerechte Wohnungen?

Wohnen spielt eine sehr große Rolle. Zurzeit ist es aufgrund der Mietentwicklung zu spüren, dass ältere Menschen große Angst um den Erhalt ihrer Wohnung haben. Ältere Leute zahlen bis zu 40 Prozent ihres Renteneinkommens für die Miete. Wenn sie umziehen müssen, weil der Ehepartner gestorben ist und sie sich die große Wohnung nicht mehr leisten können, ist das oft verbunden mit einer hohen Miete in einer kleinen Wohnung. Und was vielleicht noch gravierender ist: Die oft Jahrzehnte bestehenden sozialen Beziehungen gehen bei einem Umzug in einen anderen Kiez verloren.

Stichwort Altersarmut: Betrifft das schon die jetzige Rentnergeneration oder ist das eher ein Problem der Zukunft?

Wenn man die Durchschnittswerte sieht, ist die jetzige Generation materiell noch relativ gut gestellt. Aber Armut ist immer konkret im Einzelfall, das gibt es heute schon. Außerdem ist Armut nicht nur materiell: Viele leiden heute unter sozialer Kontaktarmut. Berlin ist die Stadt der Singlehaushalte, auch unter den 50- bis 60-Jährigen leben viele allein, das verkompliziert ihre Situation. Und es gibt noch eine Facette der Armut: Wenn ich in der Wohnung gefangen bin, etwa weil die Infrastruktur nicht stimmt, etwa im öffentlichen Personennahverkehr.

Was sind die größten Defizite bei der altersgerechten Stadt?

Der Landesseniorenbeirat war ja aufgefordert, Vorschläge zu machen für die neuen Leitlinien. Da gab es viele gute Ideen: So haben wir zum Beispiel zu wenig Sitzgelegenheiten in der Stadt, wo man nichts verzehren muss. Dann brauchen Ältere öffentliche Toiletten, die gibt’s fast gar nicht mehr. Die Ampelphasen sind oft viel zu kurz, gerade bei diesen breiten Straßen hier. Und in puncto gesellschaftlicher Teilhabe muss man leider sagen: Immer mehr Seniorenfreizeitstätten werden geschlossen, wie die in der Stillen Straße. Aber wo sollen sich dann die Menschen treffen? Und wenn Ältere nicht mehr rausgehen können, müssen sie besucht werden. Es gibt in Berlin 26 Besuchsdienste, das wird man ausbauen müssen. Überhaupt ändern sich die Bedürfnisse der Älteren, wenn sie immer mehr Lebenszeit im Alter haben: Sie wollen gebraucht werden, und sie wollen mitreden. Gerade wenn jetzt die 68er in Rente gehen. INTERVIEW: SUSANNE MEMARNIA