Die Angst vorm Outing

Ein-Euro-Jobs, Hartz IV und der zermürbende Alltag auf Jobsuche: Regisseur Daniel Rademacher hat am Düsseldorfer Schauspielhaus ein Stück mit Arbeitslosen inszeniert. Nur leider ein bisschen zu spät

VON BORIS R. ROSENKRANZ

Erst einmal geht es abwärts. Am Pförtner vorbei, rechts die Treppe hinab in den Unterleib des Düsseldorfer Schauspielhauses. Dann den Flur entlang und links durch die Stahltür auf die kleine Probebühne. Blauer Teppich. Ein Staubsauger. Ein Sofa. Davor flache Glas-Stahl-Tische, die später als Hocker dienen werden. Zwischen diesem Alltagskram hier in den Katakomben versteckt Regisseur Daniel Rademacher derzeit ein Thema, das insbesondere im vergangenen Jahr mehr und mehr an Größe gewonnen hat, für die große Bühne aber dann wohl doch zu klein, zu inaktuell ist. Es geht um Arbeitslosigkeit. Dargestellt von Arbeitslosen.

Entstanden ist das Projekt aus einem Theater-Workshop der Düsseldorfer Lebensberatung für Langzeitarbeitslose. Rademacher hat dort im vergangenen Jahr die Leitung übernommen. Und weil der Workshop bis dahin nur drei Teilnehmer zählte, fahndete der Regisseur per Zeitungsinserat nach weiteren Arbeitslosen, die ihm ihre Geschichte erzählen. 50 Menschen meldeten sich, Rademacher hat sie alle getroffen und die Werdegänge notiert. Auf die Bühne wollten allerdings nur sehr wenige. Aus Scheu vermutlich, sich öffentlich als Arbeitslose zu outen. Denn das ist hier immer noch ein Tabuthema. Als wäre Arbeitslosigkeit so etwas wie ein nässender Ausschlag im Schritt, von dem man besser niemandem erzählt. Merke: Das ist Deutschland.

Die Geschichten, die das Stück nun kolportiert, sind also echt. Auch wenn sie nicht immer von jenen Personen vorgetragen werden, die sie erlebt haben. Nur manchmal. Michael Mazurkiewicz etwa berichtet von seiner eigenen Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, seiner Anstellung in der Werbebranche, dem gewagten Schritt in die Selbständigkeit. Und vom rasanten Abstieg: Kunden zahlten nicht, das Geld wurde knapper, die Aufträge weniger – bis der Pleitegeier über dem 40-Jährigen kreiste. Doppelt bitter, wenn man sein eigener Chef war. Dann bekommt man sofort Hartz IV. Und Depressionen gratis dazu.

Darum geht es natürlich auch: Um Befindlichkeiten, und wie man sich fühlt, wenn man pausenlos Zeit totschlägt, Bewerbungen schreibt, Absagen kassiert. Man sieht die Darsteller staubsaugen, schlafen, stricken, schlafen, lesen, schlafen. Ein zermürbender Rhythmus, der beim Zusehen allerdings nicht sonderlich berührt. Dafür ist das Stück, das gestern Premiere feierte, zuweilen zu schlaff inszeniert, der Text oft redundant. Am Engagement der Laiendarsteller liegt es jedenfalls nicht. Die Verbannung in den Keller ist da schon eher ein Indiz: Das Thema findet in diesem Fall einfach zu spät auf die Bühne. Sicher: Arbeitslosigkeit ist immer ein Problem, heute, morgen und vermutlich auch noch in zwanzig Jahren. Aber die Debatte um Hartz IV und Ein-Euro-Jobs wurde so oft durchgekaut – da liefert das Stück nichts überraschend Neues, sondern letztlich nur weitere persönliche Fallbeispiele. Mehr nicht.

Aber gut: Die Darsteller verfolgt ihre Arbeitslosigkeit. Tag für Tag. Da kann nicht alles oft genug wiederholt werden. Wenngleich sich das Blatt für drei Akteure des achtköpfigen Ensembles inzwischen gewendet hat: Sie sind wieder in Lohn und Brot. Mazurkiewicz zum Beispiel hat eine Anstellung in einem Unternehmenstheater gefunden. Er ist jetzt Schauspieler. „Man unternimmt etwas, um an Geld zu kommen und verlässt sich nicht auf Vater Staat“, sagt er nach einer Probe zufrieden. Und fügt noch an: „Da lege ich Wert drauf.“

2., 11., 12. Februar 2006, 20:00 UhrKarten: 0211-369911