Das Comeback der Müllkippe

375.000 Tonnen Müll für Gelsenkirchen? NRW-Umweltministerium bestätigt Interesse der Entsorgungsfirma AGR an Großdeponie im Ruhrgebiet. BUND: „Land muss hart bleiben“

VON MARTIN TEIGELER

Im Ruhrgebiet sollen die Müllberge wieder wachsen. Auf taz-Anfrage bestätigte das Düsseldorfer Umweltministerium gestern Gespräche mit der Versorgungsfirma Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR) über eine große Zwischendeponie in Gelsenkirchen. Angeblich sollen insgesamt 375.000 Tonnen Müll im Revier zwischengelagert werden, weil der Entsorger über Engpässe bei der Müllverbrennung klagt. Das NRW-Umweltministerium will die Vorschläge der AGR nun vier Wochen lang prüfen. „Wir stehen dieser Idee durchaus skeptisch gegenüber“, so eine Sprecherin.

Die AGR soll im Ministerium darum gebeten haben, 18.000 Müllwagenladungen Abfall in der Gelsenkirchener Deponie Emscherbruch zwischenlagern zu dürfen, berichtete gestern Bild. Angeblicher Zeitraum der Nutzung: 10 Jahre. „Es gab keinen formellen Antrag beim Ministerium“, so AGR-Sprecher Heinz Struszczynski. Man sei aber in Düsseldorf „vorstellig geworden“.

Hintergrund: Die Entsorgungsfirma des Regionalverbandes Ruhrgebiet (RVR) kann ihre geplante zweite Müllverbrennungsanlage in Herten momentan nicht bauen. So lange die Finanzierung für die zweite Ausbaustufe in Herten nicht sicher ist, muss sich das Unternehmen nach Ersatzlösungen umsehen – zumal auch der Bau einer Müllverbrennungsanlage in Halle-Lochau (Sachsen-Anhalt) weiter auf der Kippe steht.

Doch eine mögliche Zwischenlagerung auf der Deponie in Gelsenkirchen wäre nur mit einer Genehmigung der Behörden möglich. Seit Juni 2005 dürfen unbehandelte Abfälle nämlich nicht mehr auf Deponien entsorgt werden. Das sieht die 1993 beschlossene „Technische Anleitung Siedlungsabfall“ (TASi) vor, die verhindern soll, dass durch die Lagerung unbehandelter Abfälle Gifte in die Umwelt gelangen.

Die NRW-Genehmigungsbehörden hatten bislang den Ruf, streng entlang der TASi-Vorgaben zu entscheiden. „Es wäre ein Präzedenzfall, wenn eine derart große Deponie genehmigt werden sollte“, sagt Ministeriumssprecherin Sabine Raddatz. Auch in anderen Bundesländern sei eine Zwischenlagerung in dieser Größenordnung bislang nicht genehmigt worden.

„Das Ministerium muss bei seiner harten Linie bleiben“, sagt Dirk Jansen, NRW-Geschäftsführer des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Es könne nicht sein, dass riesige Müllmengen auch aus anderen Bundesländern im Ruhrgebiet landeten. Jansen: „NRW würde so die Müllkippe der Nation werden.“

Eine Ausnahme von der restriktiven Regel hat es aber bereits gegeben: Ende 2005 erteilte die Bezirksregierung Münster eine Plangenehmigung für die Gelsenkirchener Deponie Emscherbruch. Befristet auf ein halbes Jahr dürfen in dem „temporären Zwischenlager für nicht TASi-konform vorbehandelte“ Abfälle bis zu 25.000 Tonnen Müll deponiert werden.