Apotheker vor Gericht: Alles hängt an Mister X

Betrug mit HIV-Rezepten: Berufungsprozess vorm Landgericht hat begonnen. Angeklagter beteuert Unschuld

Bremen taz ■ Täter oder Opfer? Seit gestern steht der Apotheker aus der Neustadt, der HIV-Infizierten statt verschriebener Medikamente Geld oder Drogenersatzsstoffe gegeben und die Rezepte mit den Kassen abgerechnet haben soll, wieder vor Gericht: Die Berufungsverhandlung vorm Landgericht hat begonnen. Ein Jahr Freiheitsstrafe und ein Jahr Berufsverbot, dazu war der 58-Jährigen 2003 verurteilt worden. Staatsanwaltschaft und Verurteilter waren in Berufung gegangen. Prozesse gegen andere Apotheker wurden damals eingestellt.

Mindestens 43.000 Euro soll der Apotheker 1998 und 1999 kassiert haben, indem er seinen drogenabhängigen Kunden Geld statt Medizin gab - pro Rezept bis zu 800 Mark. Gegen den promovierten Pharmazeuten sprach die Differenz zwischen abgerechneten Medikamenten und registriertem Wareneingang sowie Zeugenaussagen: von Kunden, die gegen ihn aussagten, und von Mitarbeiterinnen, denen er offenbart habe, er habe „Mist gebaut“, sei „zu geldgierig“ gewesen. Nur ein Bruchteil des Betrugs sei ans Tageslicht gekommen, glaubt die Staatsanwaltschäft und schätzt den Schaden auf rund 250.000 Euro.

Der hochverschuldete Angeklagte, der von Hartz IV lebt und als Apotheker-Assistent mini-jobbt, sieht sich hingegen als Opfer eines „Komplotts der Kammergänger und Neider“. Drahtzieher sei Bremens Pharmaziedirektor, dessen Frau in der Neustadt eine Apotheke betreibt. „Ich war beliebt, ich war gut in der Beratung“, sagte der Mann gestern, deshalb habe der Pharmaziedirektor ihn „weg kriegen“ wollen. Der kungele mit der Polizei, die Zeugen seien bestochen. Seinen Kunden habe er die HIV-Medikamente stets ausgehändigt, beteuerte der Apotheker, ihnen oft aber auch aus Mitleid zusätzlich Geld geschenkt. Dass sein Wareneingang nicht zu den hohen Umsätzen passte, begründete er mit „dunklen Quellen“, aus denen er Medikamente ohne Beleg bezogen habe. Die aber wollte der Angeklagte schon im letzten Prozess und auch gestern partout nicht nennen. „Ich bin sehr skeptisch“, sagte dazu die Richterin, „ob es diesen Mr. X geben soll.“ sgi

Fortsetzung: 2.2., Landgericht, Saal 231, 9 Uhr.