Sarah BSC

Ich gebe zu: Meine Liebe zum Verein ist erfolgsabhängig

VON SARAH SCHMIDT

Während unserer Wohnungssuche landeten wir am Samstagmittag in Charlottenburg. Bei der Besichtigung schaute ich natürlich auch nach den Nachbarn – man will ja wissen, wer sonst noch im eventuellen neuen Domizil lebt. Auf dem Balkon nebenan hing eine traurig-schlappe, arg verblasste Herthafahne. Na, das ist doch nicht schlecht, dachte ich, bevor ich daneben eine ganz frische Deutschlandfahne sah. Die wehte sogar im Winterwind, während Hertha durchhing. Ich war unentschlossen: Die Wohnung war schön, aber neben einem Herthafan, der gleichzeitig Deutschland liebt, möchte ich wohl eher doch nicht wohnen.

Also fuhren wir weiter und kamen am Bahnhof Zoo vorbei. Dort stand viel zu viel Polizei herum. „Sicher wegen Dresden“, war der erste Gedanke; der zweite: „Nee, wegen Hertha.“ Das wurde bestätigt, denn in diesem Moment sah ich sie überall, die treuen Fans, auf dem Weg ins Olympiastadion. Kurz beschlich mich ein schlechtes Gewissen, denn bei dem Wetter gehe ich auf keinen Fall zu Freiluftspielen.

Dann aber befand ich: Ich bin schließlich auf der Suche nach einer neuen Heimat, das fordert sämtliche vorhandenen Kräfte von mir, ich kann mich nicht auch noch um ein volleres Stadion bemühen. Und für wen überhaupt? Die ollen Flitzpiepen von Hertha sind mir keine kalten Füße wert. Ja, ich gebe es zu, meine Liebe zum Verein ist erfolgsabhängig. Ich will nicht leiden mit meiner Mannschaft. Zumindest nicht über Monate und Monate.

Die Ampel wurde grün, der Bahnhof verschwand hinter uns, als neben uns plötzlich der Berliner Mannschaftsbus auf der Abbiegespur stand: dieser Bus mit den undurchsichtigen Scheiben und dem großen „Aufholjäger“-Aufkleber am Heck, mit dem die Spieler herumgefahren werden. Wo wollten die bloß hin, zum Stadion geht’s hier nicht entlang? Und die Spieler werden doch nicht einzeln mit dem Bus von zu Hause abgeholt, oder?

Sogleich entstand ein Bild: Mütter stehen in Haustüren, geben ihren Bubis noch einen schnellen Kuss und die Stullenbox mit auf den Weg, die ganz doll geliebten bekommen noch ein Trinkpäckchen dazu, und dann fahren alle zusammen zum Spiel. Im Bus wird herumgetollt, falsches Rülpsen bringt alle zum Lachen und Trainer Funkel legt die Stimmungskassette ein, bei der jeder laut mitsingen muss.

Vielleicht wäre das gar nicht so schlecht für Hertha, dem Teamgeist würde es sicher helfen. Darum meine Forderung: Erst singen, dann gewinnen! Von mir aus auch Karnevalslieder. Aber auf mich hört wieder niemand, und Hertha steigt lieber ab. Helau!