Der unaufhaltsame Absturz eines Flughundes

Viele Jahre verbrachte Flughund Kasimir in einem Hundesalon – nicht artgerecht, wie Kritiker meinten. Seitdem wird um das Tier gestritten

Aufruhr in der Zitadelle Spandau: Heute um halb zehn kommt der Gerichtsvollzieher, um aus dem in der alten Wehranlage gelegenen Fledermausgehege des Berliner Artenschutz Teams (BAT) den Riesenflughund Kasimir zu holen. Seine ehemalige Besitzerin Monika Rothgänger soll ihn nach jahrelanger undurchsichtiger Gemengelage zurückbekommen. Damit geht der Streit um das eigentlich in Indien heimische Tier in die nächste Runde.

Noch hängt Kasimir, der bei seiner ehemaligen Besitzerin Max heißt, kopfüber unter der Decke im Gehege in Spandau und holt sich weiches Obst aus dem Fressnapf. Obwohl Kasimir seine Gefährten, Nilflughunde und südamerikanische Fledermäuse, an Größe weit überragt, versucht eines der anderen Tiere, ihm sein Obststück zu klauen. Kasimir wehrt es ab.

In den eineinhalb Jahren, in denen er nun bereits im Schaugehege in Spandau lebt, hat der Vegetarier mit seinen dunklen Knopfaugen Star-Status erreicht. Die Kinder, die hier schulklassenweise vorbeikommen, haben ihn ins Herz geschlossen. Auch deshalb, weil er, alleine seiner Größe wegen, leicht auszumachen ist unter den anderen. Könnte er noch fliegen, hätten seine Flügel eine Spannweite von 1,20 Meter. Vor allem aber hat er eine Geschichte. Und die geht ans Herz.

Wann und wo Kasimir geboren wurde, steht nicht fest. Vermutlich aber brachte man ihn Anfang der 80er-Jahre nach Belgien und von dort ein paar Jahre später illegal nach Berlin. 17 Jahre soll er sein Dasein in einem Hundesalon in der Weddinger Togostraße gefristet haben.

Seit 1992 ist der Flughund aktenkundig. Das Amtsgericht Tiergarten hatte damals eine förmliche Beschlagnahme wegen Verstoßes gegen Artenschutzbestimmungen angeordnet. Weil aber niemand wusste, wohin mit dem Tier, blieb es, wo es war.

Vor zwei Jahren kam der Flughund wieder in die Schlagzeilen. Der Hundesalon hatte eine neue Besitzerin, die das Tier nicht artgerecht halte. Im Spandauer Fledermauskeller wurden Geschichten verbreitet, die sich nicht gut anhörten: dass dem Tier die Haare gefärbt würden, dass der Vegetarier manchmal – Hund sei ja Hund – Hundefutter zu fressen bekäme, dass er nur eine kleine Drahtwand zum Klettern habe. Die Naturschutzbehörde Mitte wurde eingeschaltet. Warum das Tier damals nicht in einen Zoo kam, wie die Artenschutzbeauftragten des Senats angeregten, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Stattdessen kam er ins Schaugehege der tropischen Tiere im Fledermauskeller in der Zitadelle.

Kasimir sei in einer schrecklichen Verfassung gewesen, berichtet Gabriele Müller, die Pressesprecherin von BAT. Er konnte sich an seinen Krallen kaum mehr aufhängen. Fliegen konnte er ohnehin nicht mehr, da seine Flughäute vertrocknet waren, weil er Tag und Nacht unter einer Rotlichtlampe gehangen haben soll. Außerdem soll er Verhaltensweisen gezeigt haben, die an Hospitalismus erinnerten. Etwa drehte er sich beim Koten nicht mehr nach unten und verdreckte sich so. Im Fledermauskeller wurde das Tier wieder aufgepäppelt.

„Alles Lüge“, sagt Rothgänger, die ehemalige Besitzerin. Als er ihr weggenommen wurde, habe er noch fliegen können. Man hätte ihm beim Transport die Flügel gebrochen, und auch die Krallen seien dabei kaputtgegangen. Wo sie ihn in ihrem Salon gehalten habe, will sie nicht zeigen. Kasimir hätten alle Räume des mit seinen gelben Plastikblumen und Hundebüsten rührend wirkenden Salons zur Verfügung gestanden. Sie klagte auf Rückgabe des Tieres. Seither beschäftigt der Fall die Gerichte.

Als Rothgänger gegen die Beschlagnahme Widerspruch einlegte, bekam sie Recht. Da das Tier vermutlich zu einer Zeit nach Berlin gebracht wurde, als es das Artenschutzgesetz noch nicht gab, könne es nicht angewendet werden. Als die ehemalige Besitzerin mit Hilfe der Polizei den Flughund abholen wollte, weigerten sich die Tierschützer, ihn herauszugeben.

Kasimir ist zum Zankapfel einer Reihe von Leuten geworden. Denn neben dem BAT und Rothgänger spielen Streitereien zwischen dem jetzigen und dem vorherigen Betreiber des Fledermauskellers, der die ehemalige Besitzerin unterstützt, eine Rolle. Es gehe um die Diskreditierung der Arbeit ihres Vereins, meint Müller, die BAT-Sprecherin. Andere öffentliche Stellen wollen keine Kommentare mehr abgeben. WALTRAUD SCHWAB