Riesiger Lenkdrachen zieht Frachtschiff

Ein neues Konzept könnte dem Segeln zu einer Renaissance verhelfen. Ein am Schiffsbug befestigter Lenkdrachen soll Treibstoffkosten halbieren

Die Computeranimation erinnert fatal an die eigenen Versuche, einen Lenkdrachen zu fliegen: Im wilden Schleifen irrt die gelbe Matratze durch den Himmel. Der Betrachter rechnet jeden Augenblick mit dem Absturz. Nichts dergleichen geschieht, denn die Schleifen sind Absicht: Sie holen das Maximum an Energie aus dem Wind. Schließlich soll der Drachen im kommenden Jahr ein 140 Meter langes Frachtschiff über die Meere ziehen und so der Bremer Reederei Beluga Shipping dabei helfen, bis zu 50 Prozent der Treibstoffkosten einzusparen.

Der Drachen der Hamburger Firma SkySails entspricht einem Matratzenschirm, wie ihn auch Paraglider verwenden – allerdings ist er weitaus größer. Seine Fläche variiert zwischen der eines Reihenhausgrundstücks und eines halben Fußballfelds. Der Drachen wird am Schiffsbug verankert, auf 100 bis 300 Meter Höhe gebracht und von einer kleinen Gondel aus mit Zugseilen automatisch gesteuert.

Anders als herkömmliche Segel an Masten nimmt er an Deck keinen Platz weg. Beim Anlaufen von Häfen wird er eingeholt und stört nicht beim Beladen. Und er bringt das Schiff nicht in die schnittige, aber unerwünschte Schräglage, die Segelschiffe ausmacht. Im Gegenteil: „Mit dem Zugdrachen liegt das Schiff besser im Wasser“, sagt Stephan Wrage, der das System ersonnen hat. Der Bug taucht sanfter in die Wellen ein. Geringere Schwierigkeiten als zunächst befürchtet, macht der Start des Drachens. Wrage glaubte zunächst, das riesige Segel nur mit einer Heliumfüllung in den Himmel befördern zu können. Doch es genügt völlig, den Drachen an einem Startmast in den Wind zu halten und sich entfalten zu lassen. Eine Winde lässt den Drachen kontrolliert in die Höhe steigen, in der der günstigste Wind weht. Lässt der Wind zu wünschen übrig, kann sie ihn mit einer Geschwindigkeit von 18 Stundenkilometer wieder einholen. Die Höhe, auf der der Drachen fliegt, verschafft ihm einen weiteren Vorteil gegenüber einem herkömmlichen Segel. „In einer Höhe von 100 Metern ist die durchschnittliche Windgeschwindigkeit aufgrund der fehlenden Reibung mit der Wasseroberfläche zwischen 10 und 20 Prozent höher als in 10 Metern Höhe“, sagt Wrage.

Nicht nur das: Die Windgeschwindigkeit wirkt sich im Quadrat auf die Zugkraft des Drachens aus – ein Effekt, den der Ingenieur noch steigert, indem er den Drachen Figuren fliegen lässt. Saust er in die Kurven einer Acht, erhöht sich die Windgeschwindigkeit am Drachen und damit die Zugkraft. Das Skysail kann also ein Vielfaches an Kraft aus dem Wind schöpfen als ein herkömmliches Segel.

Beluga-Reeder Niels Stolberg will das System mit einem kleinen Segel auf einem langsamen 12.000-Tonnen-Frachter im Verkehr zwischen Asien, Europa und Südamerika ausprobieren. Er glaubt, dass sich die halbe Million Euro, die er in den Drachen investiert hat, binnen drei Jahren gelohnt haben wird.

„Die Brennstoffkosten sind in den vergangenen zwei Jahren um das Dreifache gestiegen“, sagt der Kapitän. Dazu kämen verschärfte Vorschriften der Internationalen Schifffahrtsorganisation (IMO), die die Emissionen des Schiffsverkehrs begrenzen will.

Nach einer Studie der US-Universität Delaware verbraucht die internationale Frachtschifffahrt mehr als doppelt so viel Öl als Deutschland. Anderen Schätzungen zufolge stößt der Schiffsverkehr mehr als 7 Prozent des weltweiten Schwefeldioxids aus (Lloyd’s, London) und, so das Umweltbundesamt, 11 bis 13 Prozent der Stickoxide. GERNOT KNÖDLER