Der Fall Pinochet wird Familienangelegenheit

Die älteste Tochter des chilenischen Exdiktators will Asyl in den USA – er selbst verliert ein Verfahren nach dem anderen

BERLIN taz ■ Die älteste Tochter des chilenischen Exdiktators Augusto Pinochet, Lucía Pinochet Hiriart, die am Mittwoch in Washington bei der Einreise in die USA festgenommen worden war, hat politisches Asyl in den Vereinigten Staaten beantragt. Die USA haben jetzt bis zum Wochenende zu entscheiden, ob der Asylantrag angenommen wird. Falls nicht, könnte Pinochet Hiriart entweder nach Argentinien zurückgeschickt werden, von wo sie in die USA gereist war, oder freiwillig nach Chile zurückkehren, um sich dem Richter zu stellen.

Am Dienstag hatte Untersuchungsrichter Carlos Cerda in Santiago neben dem bereits angeklagten Exdiktator auch dessen Ehefrau und vier der fünf Kinder unter Anklage gestellt – darunter eben auch Lucía Pinochet Hiriart. Ihnen wird vorgeworfen, in den so genannten Fall Riggs verwickelt zu sein. Über die Riggs-Bank in den USA und Banken in Europa soll Pinochet über Jahre hinweg unter falschem Namen mindestens 28 Millionen Dollar ins Ausland transferiert und damit Steuern hinterzogen haben.

Was den ehemaligen Diktator selbst angeht, so verliert der einstige Staatschef und spätere Senator auf Lebenszeit seit Monaten ein Verfahren um die Aufhebung seiner Immunität nach der anderen. Neben der Anklage wegen Steuerhinterziehung muss er sich auch wegen Menschenrechtsverletzungen vor Gericht verantworten. Erst in der vergangenen Woche hatte das Berufungsgericht in Santiago ihm für ein Verfahren im Zusammenhang mit der „Villa Grimaldi“ in Santiago die Immunität entzogen. In dem geheimen Foltergefängnis des Militärgeheimdienstes Dina waren während der Diktatur rund 5.000 Menschen misshandelt und mehrere hundert umgebracht worden. Unter den Gefolterten war auch die zukünftige Präsidentin Chiles, die Sozialistin Michelle Bachelet.

Schon zehn Tage zuvor, am 11. Januar, hatte Pinochet seine Immunität auch für ein Verfahren in zwei Fällen der „Todeskarawane“ verloren. Dabei geht es um eine militärische Sondereinheit, die als Todesschwadron kurz nach dem Putsch 1973 durch die Gefängnisse zog und inhaftierte Oppositionelle umbrachte – mutmaßlich auf direkten Befehl Pinochets. Ein bereits angestrengtes Verfahren wegen der Todeskarawane war im Juli 2002 vom Obersten Gerichtshof unter Berufung auf die angebliche Verhandlungsunfähigkeit Pinochets verhindert worden.

Bereits im Dezember hatten die Gerichte eine Anklage im Zusammenhang mit der so genannten Operation Colombo zugelassen, bei der es um die Ermordung von 119 chilenischen Linken 1975 geht.

Pinochets Verteidigung hatte in jedem Einzelfall versucht, die Anklageerhebung zu verhindern. Entweder rekurrierte sie auf die angebliche Immunität Pinochets in seiner Eigenschaft als ehemaliger Regierungschef oder auf Verhandlungsunfähigkeit wegen seines schlechten Gesundheitszustands. Tatsächlich hatte der inzwischen 90-Jährige im vergangenen Jahr einen Schlaganfall erlitten – doch im Dezember war er erneut für verhandlungsfähig erklärt worden. In aller Regel gehen die Ärzteteams, die ihn immer wieder aufs Neue untersuchen, inzwischen davon aus, dass Pinochet Krankheiten und geistige Verwirrung lediglich simuliere. Immerhin hatte ihn dieses Verhalten seinerzeit aus britischem Gewahrsam befreit, als er dort ab Oktober 1998 aufgrund eines internationalen Haftbefehls aus Spanien 16 Monate lang gegen seine Auslieferung kämpfte und dann wegen angeblicher Demenz nach Chile zurückkehren durfte. BERND PICKERT