Der Genozid und die „Opfer des UN-Tribunals“

Mysteriöse Todesfälle unter Mitwissern der Planung des ruandischen Völkermordes von 1994 ängstigen Exilruander

BRÜSSEL taz ■ „Opfer des UN-Tribunals“ stand auf den Transparenten, und unter den Demonstranten in der belgischen Hauptstadt am vergangenen Samstag war die exiliierte Elite der einstigen ruandischen Hutu-Staatsmacht. Mehrere hundert Menschen begleiteten mit einem Trauerzug, der zugleich ein Protestmarsch war, die sterblichen Überreste des früheren ruandischen Ministers Juvénal Uwilingiyimana zur Kirche der Unbefleckten Empfägnis im Brüsseler Vorort Anderlecht. Viele Exilanten, die zum Teil in der für die Vorbereitung des Völkermords an Ruandas Tutsi 1994 verantwortlichen damaligen Hutu-Regierung einen hohen Rang bekleideten, waren da, auch die Tochter des damaligen Staatspräsidenten Juvénal Habyarimana, Jeanne. Sie alle warfen dem UN-Tribunal, das im tansanischen Arusha die Verantwortlichen für den Genozid an über 800.000 Menschen in Ruanda 1994 richtet, die Schuld am Tod des einstigen ruandischen Handelsministers und Tourismusdirektors Uwilingiyimana vor, dessen Leiche am 17. Dezember in einem Brüsseler Kanal gefunden worden war – wenige Wochen, nachdem er sich bereit erklärt hatte, mit dem UN-Tribunal zusammenzuarbeiten (taz, 31. 12. 05).

Uwilingiyimanas Tod hatte die ruandische Hutu-Exilgemeinde schockiert. Sie ist davon überzeugt, dass UN-Ermittler ihn mit dem Tode bedroht hatten für den Fall, dass er nicht kooperieren sollte – er wird gebraucht als Zeuge gegen Angeklagte, die in Arusha derzeit vor Gericht stehen. Und er sei nicht das einzige Opfer gewesen, hieß es auf einer Pressekonferenz der Exilanten in Brüssel am 11. Januar. 2003 sei der ehemalige Generalsekretär der ruandischen Nationaluniversität, Alphonse Rudatsikira, in einem Kanal seiner Exilheimat Straßburg tot aufgefunden worden. Und am 25. Dezember 2005 sei Jean-Baptiste Iradukunda, Leutnant im ruandischen Verteidigungsministerium zum Zeitpunkt des Völkermordes, „in Österreich ermordet und ertränkt“ worden – auch er von der Anklage des UN-Tribunals als Zeuge gesucht. Eine Mordkampagne sei im Gange.

Beweise dafür gibt es nach wie vor nicht – ein angeblicher Brief des ermordeten Exministers Uwilingiyimana an den Chefankläger des UN-Tribunals, in dem er sich über Drohungen durch UN-Ermittler beklagt haben soll, wurde erst nach seinem Verschwinden veröffentlicht. Auch der angeblich in Österreich ermordete Iradukunda ist nach Angaben der „Black Community“ seines Wohnortes Linz nicht am 25. Dezember 2005 gestorben, sondern am 7. Januar 2006, und zwar nicht durch Ertrinken, sondern durch kurze schwere Krankheit. Man habe den exilierten Exleutnant auch nicht in einem Linzer Kanal gefunden, sondern tot neben seinem Bett.

Noch herrscht keine endgültige Klarheit darüber, ob Uwilingiyimana und Iradukunda überhaupt Opfer von Mordanschlägen geworden sind oder auf andere Weise zu Tode kamen. Doch für den Fall, dass es so sein sollte, sind sich manche Angehörige der ruandischen Hutu-Exilgemeinde in Brüssel nicht mehr sicher, ob die Täter nicht eher in den eigenen Reihen zu finden sind. Es gehen Mutmaßungen um, frühere Todesschwadronen aus der Habyarimana-Zeit seien reaktiviert worden, um unangenehme Mitwisser über die Planung des Völkermordes zum Schweigen zu bringen – solche sucht das UN-Tribunal derzeit für das laufende Verfahren gegen damalige hohe Militärs sowie den damaligen Präsidentenschwager Protais Zigiranyirazo, bekannt als „Herr Z“. Er sitzt seit seiner Festnahme in Belgien 2001 in Arusha in Haft. Das Verfahren gegen ihn wurde diese Woche wieder aufgenommen – unter Boykott des Angeklagten.

Gegenüber der taz erklärt ein ruandischer Exilant, der nicht namentlich genannt werden will, er sei selbst von UN-Ermittlern angesprochen worden, um die damalige Rolle der Schwester von „Herr Z“ zu eruieren. Es handelt sich um die damalige First Lady Agathe Kanziga, Ehefrau von Präsident Habyarimana. Sie war vor 1994 bekannt als Wortführerin der Radikalen und wurde zu Beginn des Genozids, nachdem der Abschuss des Flugzeugs ihres Ehemanns den Startschuss für die Massaker lieferte, ins französische Exil evakuiert.

FRANÇOIS MISSER