Alle gegen Guantánamo – theoretisch

Deutsche Parteien sind sich einig: Die USA sollen ihr Gefangenenlager auf Kuba schließen. Trotzdem verhindert die Regierung einen gemeinsamen Beschluss des Bundestags. Was eigene Sicherheitskräfte in der Praxis tun sollen, bleibt sowieso umstritten

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

„Guantánamo“, beginnt Alois Karl seine Rede, „welch ein Wort“. Kaum ein anderes sei so negativ besetzt wie dieses. Guantánamo, sagt der Abgeordnete Karl, stehe für den Entzug von Rechten und die Missachtung der Menschenwürde. Guantánamo, fährt er fort, sei „eine offene Wunde“. Die Parteigrenzen verschwimmen.

Für wen spricht dieser feinfühlige Herr nochmal? Ach ja, für die CSU. Aber das ist an diesem Donnerstag im Deutschen Bundestag fast egal. Heute sind alle ein bisschen Claudia Roth.

Das US-Gefangenenlager in Guantánamo auf Kuba widerspricht rechtsstaatlichen Prinzipien und sollte deshalb aufgelöst werden. Diese Position ist im Deutschen Bundestag Konsens.

Der Konsens geht so weit, dass sich die Linksfraktion in ihrem Antrag („Guantánamo schließen“) ausdrücklich auf die Kanzlerin beruft. „Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel“, heißt es da ganz höflich, habe sich „zu Recht ablehnend zur Existenz des Gefangenenlagers Guantánamo auf Kuba geäußert“. Für Merkel gibt es Lob von allen Seiten. Mit einem kleinen Unterschied: SPD und Grüne betonen, wie sehr schon die alte Regierung Guantánamo kritisiert habe. Die Union hebt hervor, dass sich ihre Kanzlerin Merkel deutlicher als ihr Vorgänger geäußert habe. „Von Schröder haben wir so etwas nie gehört“, sagt auch FDP-Fraktionsvize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger der taz.

Ein paar Sticheleien müssen eben sein, und für einen einstimmigen Beschluss des Bundestags reicht es auch jetzt nicht. Die Koalition setzt ihren Antrag durch. Darin wird Merkels Nein zu Guantánamo nur indirekt erwähnt, auf eine Forderung nach sofortiger Schließung verzichtet und ein eher allgemeines Bekenntnis abgelegt, „den internationalen Terrorismus mit rechtstaatlichen Mitteln zu bekämpfen“.

Doch was heißt das? War es beispielsweise richtig, dass deutsche Geheimdienstler nach Guantánamo reisten, um den dort inhaftierten Bremer Türken Murat Kurnaz zu vernehmen? Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) hatte den BND-Besuch in Guantánamo verteidigt. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) dagegen bekannte jetzt in der Zeit: „Mir wäre es sicher lieber gewesen, wenn deutsche Beamte keinen Fuß in dieses Gefängnis gesetzt hätten.“

Die frühere Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger begrüßte die Zypries-Äußerungen, fügte jedoch hinzu: „Es geht ja nicht nur um Guantánamo.“ Sie würde sich „wünschen, dass Frau Zypries dasselbe Urteil abgibt, wenn es etwa um den Besuch und die Gespräche von BKA-Beamten in Syrien geht“.

Zypries hatte verteidigt, dass deutsche Beamte den deutschsyrischen Terrorverdächtigen Mohammed Zammar in Damaskus vernommen hatten, obwohl er dort gefoltert worden sein soll. Leutheusser-Schnarrenberger: „Hier muss noch einiges geklärt werden.“

Der grüne Rechtsexperte Jerzy Montag nannte Zypries’ Haltung zu Guantánamo „richtig“. Was den Fall Zammar angehe, habe auch er „noch Fragen“. So hätten sich die deutschen Beamten „darum kümmern müssen, ob Zammar einen Anwalt hat, ob er Rechtsschutz hat“. Vernehmungen in Syrien grundsätzlich zu kritisieren, sei jedoch verlogen. „Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat offensichtlich vergessen, dass die FDP und sie persönlich auch einmal in Regierungsverantwortung waren“, sagte Montag der taz. „Wenn wir nur mit Staaten zusammenarbeiten würden, die einen Rechtsstaatspegel haben, wie wir ihn haben, könnten wir nicht einmal mit zehn Staaten zusammenarbeiten.“