Ihr seid cool und wir sind heiß

Gefeiert wurde ausgiebig nach dem 3:1-Sieg des FC St. Pauli gegen den SV Werder Bremen. Besonders interessant aber ist bei diesem Derby die Art der Feierlaune im Clubheim des FC St. Pauli: Denn dort treffen sich in letzter Zeit auch diejenigen Werder-Fans, die ihren Wohnsitz in Hamburg haben

Das Telefon im Clubheim des FC St. Pauli steht am Mittwoch Nachmittag nicht mehr still. „Wird gespielt?“, wollen die Anrufer wissen, oder: „Übertragt Ihr das Spiel?“ Organisationschef Sven Brux bittet alle Pauli-Angestellten an die Schippe, um rechtzeitig vor der Schiedsrichter-Begehung um 16.30 Uhr die letzten Eisplatten vom Rasen im Millerntor-Stadion zu entfernen. Und der Wirt des St. Pauli-Clubheims, Frank Wiekhorst, erlebt aus nächster Nähe mit, wie die Werder-Verantwortlichen auf eine Spielabsage drängen.

„Das hat mich schon etwas enttäuscht“, sagt Wiekhorst später, denn erstens fiebert er wie halb Hamburg seit Wochen diesem Abend entgegen, und zweitens ist der St. Pauli-Clubwirt mit einem großen Teil seines Fußballer-Herzens Anhänger des SV Werder Bremen. Für ihn war es selbstverständlich, nach Werders Meisterschaft 2004 einen grün-weißen Schal über der Theke im VIP-Container aufzuhängen und die bissigen Kommentare stolz zu ertragen.

Grün-weiß regiert zwar schon länger am Millerntor mit, aber bislang galt die Sympathie für diese Farbkombination fast ausschließlich den Fans von Celtic Glasgow, mit denen die Pauli-Anhänger eine herzliche Underdog- Freundschaft pflegen.

Seit Frank Wiekhorst vor gut einem Jahr zusammen mit Dagmar Gebhard das schwere Erbe von Kult-Wirtin Brigitte angetreten hat, entwickelt sich das Clubheim langsam zur Zufluchtsstätte für Werder-Anhänger im Hamburger Westen, zumindest dienstags und mittwochs zu Champions League-Spielen. An Samstagen bestehen die Traditionalisten unter den Gästen noch auf die Premiere-Konferenzschaltung. Bei besonderen Spielen gehören die vollen 90 Minuten Klose und Klasnic, wie am letzten Spieltag der Hinrunde als beide Fangruppen in inniger Verachtung des Lieblingsfeindes HSV vereint waren. Über das Pokalspiel gegen Werder sagt Wirt Wiekhorst: „Heute bin ich hin und her gerissen. In letzter Konsequenz hoffe ich natürlich auf einen Pauli-Sieg. Für uns geht‘s ums Überleben und Werder hat ja noch die Champions League.“

Wie das Stadion ist auch die Vereinsgaststätte am Mittwoch Abend bis auf den letzen Platz gefüllt. Wer keine der seit Wochen vergriffenen Karten mehr ergattert hat, spürt hier direkt hinter der Gegengeraden immerhin die Singing Area vibrieren und hat echten Pokal-Geruch in der Nase.

Beim 1:0 für St. Pauli muss man sich ernsthaft Sorgen um das betagte Mobiliar der Gaststätte machen. In der Halbzeit bekommen die Werder-Fans im St. Pauli-Clubheim Unterstützung von Mitgliedern des Fanclubs „Die Netten“, denen es in der Südkurve zu kalt geworden ist. Die BremerInnen lassen sich trotz abzeichnender Niederlage schnell vom Pauli-Fieber anstecken. „Wir haben schon Karten fürs Finale in Berlin. Dann feuern wir eben St. Pauli an“, greift Werder-Mitglied Inga der nächsten Pokal-Runde vor und feiert bis spät in die Nacht mit den Pauli-Fans. „Ihr seid cool und wir sind heiß – lebenslang grün-weiß“ ruft sie, während zum 20igsten Mal das vielstimmige „You‘ll never walk alone“ im Bauch vibriert.

Als Pauli-Geschäftsführer Michael Meeske später an der Theke ein paar Bier ordert, fragt Wiekhorst strahlend: „Na sind wir jetzt schuldenfrei?“ Knapp über eine Million Euro hat der mit 1,6 Millionen Euro verschuldete Verein bis zum Viertelfinale eingenommen. Im Halbfinale gibt es Nachschlag: da warten weitere 1,1 Millionen. Ralf Lorenzen